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Walpurgistag

Walpurgistag

Titel: Walpurgistag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annett Groeschner
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ist ja heut nich.« Der Typ, der wegen der Dunkelheit nur als Umriss zu sehen ist, wiehert wie ein Pferd. »Ey, großer böser Junge, wenn de mal aus dem Weg gehen könntest? Du hältst den Verkehr auf«, sagt Cakes und versucht ihn wegzuschieben. Aber der große böse und beim genaueren Hinsehen auch schon ziemlich alte Junge will sich von so ’ner winzigen Türkin nicht in die Parade fahren lassen. Sagt er jedenfalls. Türkin! Da wird aber Cakes mächtig sauer. Sie schiebt den Kerl in die Sonderangebote, und es klirrt gewaltig. »Spaßvogel«, schreit sie. »Ich bin Kurdin, das ist ein Unterschied auf Leben und Tod, und wenn du nicht gleich verschwindest, pfeif ich, und alle Kurden hier machen dich zu einem richtigen deutschen Heinz. Klar, Kevin?« Der Kevin Genannte lässt sich aber von Cakes nicht die gute Laune nehmen. »Sorry, hab ick nich jesehen, den Unterschied, bei dem schlechten Licht hier, und nix für unjut, ick heiße wirklich Heinz.« Cakes muss wider Willen lachen, und Heinz und sie machen den türkisch-arabischen Handschlag. »Marcel, ihr müsst immer dem Geruch nach«, schreit ein Junge neben Sugar, die sich wegen der Lautstärke die Ohren zuhält, »hier ist ’n Gebinde Eierlikör abjestürzt.« Und dann stürzt er selber und schreit. »In dieser Woche ist ein Erste-Hilfe-Set fürs Fahrrad im Sonderangebot«, kräht Heinz, »holt das mal für den Eierlikörmann, die Grabbelkisten sind in der Mitte.« Cakes’
Augen gewöhnen sich langsam an die Dunkelheit. Sugars Hand krampft sich in ihre. Sie ist ganz kalt. »Was möchtest du, Sugar?«, fragt Cakes. » Was Süßes?« – »Ich könnte für meine Mutter Pralinen mitnehmen, die isst sie so gerne.« Einer hat das Regal mit den Kerzen gefunden, und brennende Teelichter werden von einem zum anderen weitergegeben. Es ist inzwischen entsetzlich voll, man kann vor lauter Menschen kaum noch Waren sehen, und immer tritt man in etwas Weiches oder in Scherben. Sugar und Cakes greifen, was sie kriegen können, und wenden sich dem Ausgang zu. Nur raus hier, ehe einer seine Kerze fallen lässt. Neben ihnen ist wieder der alte Mann. Er schiebt einen Einkaufswagen voller Waren vor sich her und sagt zu Sugar und Cakes: »Los, ihr beiden, setzt euch oben drauf, und draußen wird geteilt.« Dann holt er Schwung und drückt den Wagen mit erstaunlicher Kraft durch die Menge aus dem Markt. Draußen warten die, die sich nicht reingetraut haben, und ziehen die Herauskommenden ab. Es gibt ein großes Handgemenge. Sugar und Cakes verteidigen die Beute, indem sie Schokonüsse auf die Grabscher werfen. Heinz nimmt sein Mundwerk: »Du gloobst wohl ooch, ick jeh da rein, damit du feige draußen bleibst, um mich dann auszurauben. Det ist ooch ’ne Straftat, Hehlerei.« Als sie wieder Luft haben, schiebt er die beiden über den Platz Richtung Prinzessinnenstraße: »Ick hab bis letzte Woche in ’nem Supermarkt gearbeitet. Als Hausmeister. Wir waren zwei davon, und wie sich bald rausstellte, einer zu viel. So einfach kündigen konnten sie mir nicht, ick war da schon zu Ostzeiten jewesen, als es noch Kaufhalle war, und hatte alle Umbauten, Umstrukturierungen, betriebsbedingten Kündigungen und so weiter überlebt. Und denn bestellten se mich vor ein paar Wochen ins Büro und hielten vor mir, ick war kaum am Tisch anjekommen, eine CD hoch und behaupteten, darauf seien die Aufzeichnungen der Überwachungskamera, die zeigen, det ick Leergut stehle. Ick hab mein Leben lang nich jestohlen.« Sugar und Cakes kichern. »Na jut, aus Zwang heute. Aber vorher noch nie. Ick wurde fristlos jekündigt, musste sofort meinen Spind ausräumen. Ick bin zum Anwalt der Jewerkschaft. Der sagte, keen
Problem, det nich zu lösen wär. Es kam zu einer Untersuchung. Natürlich war auf dem Überwachungsband nichts drauf. Aber der Filialleiter hatte janze Arbeit geleistet. Niemand durfte mehr mit mir reden. Ick kam am Morgen – eisige Stille. Leute, mit denen ick zwanzig Jahre tagtäglich im Betrieb gewesen war, sprachen kein Wort mehr mit mir. Es hat mich mürbe gemacht, zumal der andere Hausmeister den janzen Tag hinter mir herlief. Irgendwann könnt ich nicht mehr und hab die Abfindung jenommen. Zur gleichen Zeit wurden drei Kolleginnen rausjeschmissen, weil sie den Schnaps, den Testkäufer unter der Jacke hatten, nich bemerkt haben. So ist das da in diesen Läden.« Sugar und Cakes gähnen. »Ick will euch nicht langweilen«, sagt der Mann, »is besser, wir machen alle mal den Abflug, eh die Bullen

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