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Walpurgistag

Walpurgistag

Titel: Walpurgistag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annett Groeschner
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haben nur einen Kreidestrich an der Mauer entlanggezogen. Ich jedenfalls geh das Kind jetzt suchen.«
    Heike ist schon an der Wohnungstür. Der Satz »Bring mir ’n Bier mit« geht im Schlüsselgeklapper unter. Als sie aus dem Treppenhaus in die Ackerstraße tritt, ist es wider Erwarten noch mild. Ein schöner Frühlingsabend. Heike wendet sich in Richtung Mauerpark.

22.41 Uhr
Pizzaauto folgt Taxi (Teil 2)
    Der Taxifahrer beobachtet eine Frau, die aus dem Haus tritt. Steigt hastig in sein Taxi. Fährt Schritt neben ihr her. Hupt. Sie wird auf ihn aufmerksam. Kommt über die Straße. Steigt auf der Beifahrerseite ein.
    An der Kreuzung Invalidenstraße rechts abbiegen, nach hundert Metern links einordnen, Ampelkreuzung Veteranenstraße / Brunnenstraße. Die Ampel ist rot. Gelb. Grün. Die Linksabbieger schlafen. Das Taxi hupt, schaffte es nicht rechtzeitig über die Kreuzung, bremst scharf. Das Pizzaauto stoppt drei Millimeter vor seiner Stoßstange. Warten. Taxifahrer und Frau unterhalten sich. Er schaut auf sie, nicht auf die Ampel. Es ist grün, die Pizzafahrerin hupt, beide biegen nach links in die Brunnenstraße ab. Zweihundertfünfzig Meter die Brunnenstraße hoch bis zum U-Bahnhof Bernauer Straße, dort rechts in die Bernauer. Nach dreihundert Metern Vollsperrung. Wenden. Parkplatzsuche. Das Taxi findet einen Parkplatz in der Wolliner, das Pizzaauto parkt vor einer Einfahrt in der Kremmener. Die Pizzafahrerin folgt dem Taxifahrer und der Frau in gemessenem Abstand auf ihrem Weg bis zur Ecke Schwedter. Dann wenden sie sich nach links zum Mauerpark. Dort vereinzelte kleine Feuer.

22.45 Uhr
Ein Porsche Cabrio muss in der Cantianstraße dran glauben
    ( Die drei alten Frauen haben inzwischen die Cantianstraße erreicht. Sie sind sehr langsam, denn der lange Spaziergang und der Alkohol haben sie müde gemacht. Eigentlich wären sie am liebsten schon zu Hause, aber sie wissen alle drei nicht ob ihre neue Wohnung jemals ihr Zuhause werden wird, also treiben sie sich gegenseitig durch die Straßen. Plötzlich bleibt Ilse Köhnke vor einem am Straßenrand geparkten Cabrio mit senfgelben Lederpolstern stehen.)
    Ilse : Sag mal, Trude, ist das nicht das Auto deines Hausbesitzers? Trude : Ick fass et nich. Darauf hab ick ja jewartet. Hat der Feigling seine Karre zehn Straßen weiter abjestellt, aus Angst, det ihm eener sonen Russencocktail in die Polster wirft und sein Liebstet abfackelt.
    Gerda : Was ist mit dem Hausbesitzer?
    Trude : Der hat mich beleidigt. Und mir mein Dach überm Kopf jeklaut. Große Rache habe ick jeschworen. Ick habe nur auf eine jünstige Jelegenheit gewartet, ihm det heimzuzahlen. Heimzahlen, dit klingt jut. Trautes Heim, sei jemein. Warum nicht gleich? Wir haben allet dabei für die perfekte Rache.
    ( Trude holt ein Stück Kohlenanzünder aus ihrer etwas abgeschabten braunen Damenhandtasche. Es ist eins von der alten Sorte, braun wie zusammengedrückter Kot oder Blumenerde, Marihuana-Klümpchen oder Rumkugeln aus der Bäckerei.)
    Trude : Rache is Blutwurscht. Hab ick im Küchenofen jefunden beim Umzug und mitjenommen, eigentlich als Erinnerung. ( Sie hält den Kohlenanzünder hoch in die Luft und ruft feierlich und fast vollkommen dialektfrei:) Erinnerung sprich!
    Ilse : Was soll das denn werden, wenn’s fertig ist?
    Trude : Ne schöne jroße Fackel. Een Gruß zum I. Mai.

    Gerda : Bis du wahnsinnig?
    Trude : Wieso soll ick wahnsinnig sein? Ick bin realistisch. Et jibt keene Jerechtigkeit, also schaff ick sie mir selber. Lasst uns ein kleenet Friedenspfeifchen rauchen. ( Sie holt ein Feuerzeug und eine einzelne Zigarette aus der Tasche und zündet sie an .) Ick rauch ja seit zwanzig Jahren nich mehr, aba die hab ick jestern dem Hermann jeklaut, diesem Aas. Jetze weeß ick ooch, warum.
    ( Sie nimmt einen tiefen Zug und gibt die Zigarette dann weiter an Ilse Köhnke, der, kaum hat sie vorsichtig daran gezogen, schwindelig wird. Sie setzt sich auf eine Bank gegenüber, gibt aber vorher die Zigarette noch an Gerda Schweickert weiter, die tief inhaliert die Zigarette an Trude weiterreicht und sich neben Ilse Köhnke unter die Straßenlaterne setzt. )
    Trude : So, und jetzte muss mir mal eene von euch den Stalin festhalten.
    ( Stalin setzt sich wie auf Befehl brav neben Gerda Schweickert und lässt sich von ihr am Hals kraulen. Trude Menzinger dreht sich kurz um und schaut, ob die Luft rein ist, stellt dann das Stück Kohlenanzünder auf dem rechten Vorderrad des Cabrios ab und legt die brennende Kippe

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