Walpurgistag
ist, sagt er laut und deutlich »Bitch«, schmeißt sein Handy auf den Beifahrersitz und startet den Mercedes. Das Taxilicht macht er nicht an. Beim Wenden streift er beinahe ihren linken Kotflügel und entschuldigt sich mit einer flüchtigen Handbewegung. Katrin lächelt ihr Mädchenlächeln und dreht den Zündschlüssel herum. Wollen wir doch mal sehen, wo es uns hintreibt.
22.28 Uhr
Pizzaauto folgt Taxi (Teil I)
Vom Erkelenzdamm rechts in die Reichenberger, über die Brücke, gleich danach scharf rechts auf den Segitzdamm, nach fünfzig Metern links in die Prinzessinnenstraße, hundertfünfzig Meter geradeaus bis zum Kreisverkehr Moritzplatz, rechts einordnen, vorbei an der Einmündung zur Oranienstraße und rechts einbiegen in die Heinrich-Heine-Straße, vierhundert Meter geradeaus bis zur Brückenstraße und von dort über die Jannowitzbrücke und unter der Bahnbrücke durch bis zur Kreuzung Stralauer Straße / Holzmarktstraße. Die Ampel steht auf Rot. Gelb. Grün. Geradeaus in die Alexanderstraße, dreihundert Meter bis zur nächsten Ampel am Haus des Lehrers, rechts einordnen in die Grunerstraße und, kaum abgebogen, sofort links halten. Die Ampel springt auf Gelb. Rot. Lange Rot.
Der Taxifahrer trommelt nervös auf dem Lenkrad herum. Links einbiegen in die Memhardstraße, den Alexanderplatz links liegen lassen und nach dreihundert Metern über die grüne Ampel in die Münzstraße. Dort nach hundert Metern rechts abbiegen in die Rosa-Luxemburg-Straße, dreihundert Meter der Straße folgen, links an der Volksbühne vorbei bis zur Ampelkreuzung Torstraße/ Schönhauser Allee. Die Ampel ist rot. Gelb. Grün. Nach links abbiegen in die Torstraße, dreihundert Meter bis zum Rosenthaler Platz. Die Ampel ist gelb. Grün, weiter geradeaus, nach hundertfünfzig Metern rechts in die Ackerstraße. Nach zweihundert Metern hält das Taxi. Der Fahrer steigt aus. Durch die geöffnete Tür sind aufgeregte Kommentatorengeräusche zu hören. Stadiongesänge. Der Taxifahrer schaut nach oben zu einem erleuchteten Fenster in der zweiten Etage. Drei Männer klopfen ihm auf die Schulter und rufen: »Finale!«
22.37 Uhr
Leverkusen siegt, und Heike sucht Klara
Im Fernsehen sind Jubelszenen zu sehen. Der Trainer der Mannschaft, Toppmöller, springt mit beiden Beinen gleichzeitig auf dem Rasen herum. Dann geht er von Spieler zu Spieler und küsst jeden auf beide Wangen. Micha kommen die Tränen. »Dass ich das noch erleben darf. Aber warum musste Zé Roberto noch Gelb abfassen? Hätte der nicht mal seine Klappe halten können? Egal, wir haben es geschafft. Komm noch mal her, Heike, ich will dich küssen. Sei stolz auf deinen Mann. We are the Champions.« – »Micha, es ist kurz nach halb elf, und Klara ist immer noch nicht zu Hause.«
Heike sucht in ihrer Tasche nach dem Handy. Auf dem Display ist kein Nachrichtsymbol. Bei Klara meldet sich nur die Mailbox, die sie, typisch Tochter, mit einem Eltern-Abwehrzauber besprochen hat: »Klara muss sich kurz mal von ihrem Elternhaus erholen, ist aber bald wieder zu sprechen. Bitte hinterlasse eine Nachricht nach dem Piep.« – »Hier ist dein Elternhaus. Sag ihm bitte Bescheid, wo es dich suchen soll. Guck mal auf die Uhr, Fräulein, was hatten wir vorhin ausgemacht? Ich komm jetzt in den Mauerpark.«
»Ich geh Klara suchen«, sagt Heike in Richtung Fernseher und zieht ihre Jacke über. »Endlich Ruhe, kann ich den Sieg genießen«, ruft Micha und vergräbt sich in den Kissen. »Finale, ohohoho. « – »Sag mal, dich scheint es wohl gar nicht zu stören, dass deine zwölfjährige Tochter an so einem Tag um halb elf noch nicht zu Hause ist?« – »Was heißt denn: an so einem Tag? Leverkusen hat gewonnen! Und außerdem wird’s Mai.« – »Das kann jetzt nicht dein Ernst sein, Michael, in der ganzen Stadt sind Chaoten unterwegs. Du bist lange genug in Berlin, um zu wissen, was an den beiden Tagen los ist.« – »Die kommt schon wieder. In dem Alter bin ich nachts heimlich aus dem Bett gestiegen und auf
den Bahnhof. Man hat mich dann erst in Hildesheim wiedergefunden. « – »Da war ja bestimmt auch so richtig viel los.« – »Ich habe da nur den Bahnhof kennengelernt. Komm, du warst auch nicht besser. Frag mal deine Mutter, als dich die Volkspolizei nach Hause gebracht hat. Wie alt warst du da?« – »Zwölf.« – »Ach nee, an der Berliner Mauer Klettern üben, da konntest du froh sein, dass du noch nicht strafmündig warst.« – »Wir haben gar nicht Klettern geübt, wir
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