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Walpurgistag

Walpurgistag

Titel: Walpurgistag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annett Groeschner
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Jünglinge, die wie Derwische um die Feuer tanzen, Bettler und Menschen, die schaukeln oder ein Marihuanapfeifchen kreisen lassen, zehn Spanier, die Fußball spielen, zwei Männer beim Schach, die sich durch nichts stören lassen, ein Mann, der lautstark selbst geschriebene Gedichte deklamiert, Biertrinker, Minnesänger und Pubertierende, die sich an den Händen halten, und hinten im Birkenwäldchen auch drei vögelnde Paare, eins davon zwei Frauen. Sie geben sich gar keine Mühe, leise zu sein. »Du bist eine gute Partnerin«, sagt Aki, als sie einmal herum sind und er sie wieder herunterlässt, »wollen wir zusammen im Zirkus auftreten?« – Warum nicht?«, sagt Katrin,
»immer noch besser als Pizza auszufahren.« Aki strahlt über das ganze Gesicht. Jetzt muss er nur noch einen Inder finden, dem er die Brieftasche klauen kann, in der hoffentlich eine Aufenthaltsgenehmigung ist. Gemeinsam schlendern sie Hand in Hand ins Birkenwäldchen. Ihnen folgt eine Gruppe Polizisten in Zivil.

23.10 Uhr
Viola Karstädt unterhält im Mauerpark Krawalltouristen und Berliner Volk jeden Alters
    »Praktische Winke für den Besucher der deutschen Kaiserstadt«, liest Viola Karstädt der um das kleine Feuer versammelten Menge vor. Sie muss sich das Buch dicht vor die Augen halten. »Könnt ihr noch ein paar Scheite auflegen, ich seh nichts mehr.« Einer der Jungen holt einen Balken, der einer Schienenschwelle ähnlich sieht, und wirft ihn in die Flammen. Es lodert jetzt heller, und Viola Karstädt fährt fort: »Ein Wort über die Berliner. In einer großen Stadt, in welcher durch steten Zufluß von Personen aller Stände und aus allen Richtungen der Windrose die verschiedensten Elemente sich anhäufen, kann die Physiognomie der Bewohner keine so ausgeprägte sein, wie dies bei Städten geringeren Umfangs der Fall ist. Diejenigen, welche der Fremde gemeinhin als >Berliner< bezeichnet, gehören fast ausnahmslos der ungebildeten Klasse an, die von Alters her ihren eigenen Jargon, wie ihren eigenen Typus bewahrt hat. Mißtrauen, Rohheit, Gutmüthigkeit, plötzliches Aufbrausen und ebenso schnelles Vergessen, große Neugier und vor allem ein vorlautes, rechthaberisches Wesen, in wunderlicher Mischung mit naivem Witz, sind die Grundzüge des Berliner Volkscharakters ...« – »Naja, det stimmt, bis auf det unjebildet«, mischt sich Trude Menzinger ein. »... den wir bei jeder Gelegenheit beobachten können ...« – »Nee, det mit dem rechthaberisch is ein Vorurteil. Schau dir die Schwaben oder Bayern an, die hierherkommen und alles besser wissen«, fällt Ilse Köhnke Viola ins Wort. Die muss lachen, liest dann aber mit erhobener Stimme weiter: »... wo das Volk in Massen zusammentritt. – Auch in der Natur des gebildeten Berliners liegt noch ein großer Teil dieses Urtypus: doch hat bei diesem die Erziehung einen so mildernden
Einfluß ausgeübt, daß eine große Zugeknöpftheit wohl die einzige Eigenschaft ist, die im öffentlichen Leben der gebildeten Klassen zum Ausdrucke gelangt. Gerade das Mißtrauen gegen jedes fremde Element entwickelt in dem Berliner ein Gefühl der Zusammengehörigkeit innerhalb eines Kreises, das sich bei allen Ständen, hoch und niedrig, in Form eines sehr entwickelten Familienlebens documentiert. Wo der Fremde Gelegenheit erhält, einen Blick in dasselbe zu tun, wird er fast immer einen herzlichen, gemütlichen Ton und ein geordnetes Hauswesen finden. Die vielen geistigen Genüsse, die Berlin darbietet, üben einen so bedeutenden Einfluß aus, daß der Bildungsgrad der Bewohner sie vortheilhaft vor denen anderer Städte auszeichnet, ebenso wie eine rege Tätigkeit aller Berufsklassen Berlin in socialer Beziehung auf eine hohe Culturstufe erhebt.« – »Ick hab ja immer jesagt, det Arbeiten bildet, aber bring det ma den Piepeln bei, det jeht da rin, da raus. Naja, wat muss ick mir noch uffrejen uff meine alten Tage«, sagt Trude Menzinger und schickt sich an, es sich am Berg bequem zu machen. Gerda Schweickert sitzt ganz selbstvergessen oben auf einer der Schaukeln und schwingt ihre alten Beine in den Himmel von Berlin. »Komm, Stalin, det machen wa ooch, schaukeln. Mann, wie ick det vamisst hab.« Die Menzinger steht auf, klopft sich das Gras vom Rock und stapft den Berg hoch, ganz der grobe Urtypus der Berlinerin.
    »Nur zu leicht werden die Berliner, wie die Berlinerinnen, von dem in die Eigenthümlichkeiten derselben Uneingeweihten nach derjenigen Species beurteilt, welche in den Bädern, auf Reisen

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