Walpurgistag
Oderkahn. Die kennen sich doch hier alle gar nicht aus. Nur, damit das mal klar ist, der Oderkahn war eine Instanz in der Oderberger Straße, auch wenn ihr heute nur noch Latte macke wollt. Gerda, fang an.
Gerda : Ich? Wat soll ich erzählen? Ich bin nicht in Kneipen gegangen. Und mein Rudolf hat hier nie in seinem Leben ein Bier getrunken, obwohl er in der Nähe gearbeitet hat. Denn er ist jedes Mal gestolpert, wenn er die Treppe hochging, und jedes Mal hat die Wirtin gesagt, wer besoffen ist, kriegt nichts.
Ilse : Ja, die Wirtin war berüchtigt, es gab Männer, die stellten sie sich mit SS-Uniform und Peitsche vor, so ’ne Angst hatten die, kamen aber immer wieder.
Trude : Also, ick fand die urig, die hat sich durchjesetzt und hat keen Blatt vor ’n Mund jenommen.
( Gerda Schweickert hat jetzt eine Bekannte getroffen, eine Jungsche, die aber berlinert.)
Gerda : Ick hab so viele Runzeln im Jesicht, aber weil ick so schlecht sehe, seh ick die nich. Und det is jut so, wie unser Bürgermeister zu sagen pflegt.
Die Jungsche: Ach, Sie sehen doch gut aus für Ihr Alter.
Gerda : Naja, man darf eigentlich nich alt werden. Aber um sich uffzuhängen is ma ja ooch zu feige. Außerdem hat man ja immer Angst, dass man was verpassen könnt.
( Die Jungsche lacht und verabschiedet sich. )
Trude (auf das Gebäude der Feuerwehr zeigend): Hier hat doch die Gitti gearbeitet, die jetzt auch zu uns ins Betreute Wohnen abgeschoben wurde.
Gerda: Gitti? Hab ich noch nicht kennengelernt.
Trude: Die war Dispatcher bei der Feuerwehr, hier in der Oderberger. Man erzählt sich, dass kein Feuerwehrmann vor der sicher war. Ja, sie hat alle vernascht. Nun ist sie aber auch schon siebzig. Aber immer noch gut im Fleisch, muss man neidlos zugeben.
Gerda: Ich weiß immer noch nicht, wen du meinst.
Ilse : Die lernste bestimmt morgen schon kennen, die ist so laut, die hat sich die ganzen Jahre gegen Feuerwehrmänner durchsetzen müssen, die wird nicht mehr leiser.
Trude : Die hat vor ’n paar Monaten beim Seniorentanz im Prater einen Achtzigjährigen kennengelernt. Und ick sag zu der: »Naja, so ’n Alter, da ist es ja wahrscheinlich mehr so gemütlich im Bett, Händchenhalten und Küsschen und so.« Und da meint die doch zu mir: »Wenn der Willi sich einen runterholt, dann spritzt das 4,65 Meter weit. Ohne Quatsch«, sagt sie, »hab’s nachgemessen. «
( Frau Schweickert hüstelt. Ein Junge mischt sich ein. )
Junge : Kiekt euch die Kuckis an, erzählen Sexgeschichten.
Trude : Du Dreikäsehoch, pass auf, dass du nich unter ’n Wasserwerfer kommst, dann biste nämlich platt. So platt jewalzte Menschen sehn nich lustig aus, det sag ick dir. Hier an der Stelle lagen auch welche ’45 wie Flundern in Wehrmachtsuniform. Und jetze ab zu Muttern, der Sandmann ist vorbei, huschhusch.
( Immer mehr Menschen versammeln sich um die kleine Feuerstelle, nachdem der Wasserwerfer das Großfeuer auf der Kreuzung gelöscht hat. Ein paar junge Männer mit Testosteronüberschuss versuchen, die alten Frauen zu verdrängen, um die Hoheit über das Feuer zu bekommen, in das schon diverse Schuhe, leere Schnapsflaschen, Schals und Mützen geworfen wurden, aber die drei lassen sich das nicht gefallen. Besonders ein sehr betrunkener junger Kerl mit Basecap kann sich Trude Menzingers Ansicht nach nicht benehmen.)
Trude : Drängel nicht so, Junge. Du kommst hier schon wieder raus, auch wenn’s eng ist, aus deiner Mutter biste doch auch rausjekommen.
( Ihr fällt dabei ein Zettel aus der Tasche, den der Betrunkene, leicht Richtung Feuer schwankend, aufhebt.)
Junger Mann mit Basecap : 2x Kaffee, 2x Creme frech. Creme frech, haha, das ist klasse, böse weiße Paste, 2x Butter, Mensch, die Olle is schon so fett, 2x Schlagsahne, noch besser, 750 Gramm Gehacktes, Rippchen, 3 Rouladen, Nudeln, Käse, ziemlich ungesund, I Gurke, Tommi Hollendi, ha, Tommi Hollendi, klingt wie ein DJ. ( Trude Menzinger versucht, ihm den Zettel zu entreißen, springt sogar, was ihr nicht gut bekommt. Der Besoffene liest weiter.)
Junger Mann mit Basecap : Toilettenpapier, nee echt, wirklich? Wurst, Küchentücher, Trockenfutter (Stalin).
Trude Menzinger (kalt) : Stalin, fass! Zeig dem Piepel, dass du dein teures Trockenfutter wert bist.
( Stalin stratzt los, die Leine, an der Frau Menzinger ihn noch hält spult sich ab, aber ehe der Hund den flüchtenden jungen Mann erreicht hat, gerät er unter den Wasserwerfer, der gerade, von der Bernauer kommend, heranrollt. Der Hund hat
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