Walpurgistag
haben, findet unsere Walpurgisnacht auch im Prenzlauer Berg an einem neuen Ort statt, da sich die gegnerischen Parteien nicht auf ein Ritual am Kollwitzplatz einigen konnten. In diesem Jahr wurde deshalb ein historischer Ort gewählt. Wir erinnern uns noch gern an die Szenen nach dem 9. November 1989, als an dieser Nahtstelle der Weltblöcke die Mauer niedergerissen wurde. Einige Ältere unter den Kämpfern aus Wanne-Eickel oder Wendlingen sind noch mit ihren Schulklassen an ebendiesen Platz gefahren, wo sich damals eine Aussichtsplattform befand. Ich schätze aber, die weitaus größere Hälfte auf dem Platz kennt diese andere Geschichte nicht mehr, auch wenn hier gerade der alte Kampfhit der Schwarzen Keine Atempause, Geschichte wird gemacht. Es geht voran aus der Lautsprecheranlage eines alten Bullis scheppert. – Unsere Zuhörer können das gut hören, Waldi. – Ja, es geht voran, im wahrsten Sinne des Wortes, denn von der Weddinger Seite aus werfen die Grünen neue Leute ins Geschehen, was dazu führt, dass einige bisher neutrale Zuschauer auf die Seite der Kapuzenkombattanten übergehen. – Waldi, können Sie noch etwas zu den Regeln sagen? – Wie immer ist im Vorfeld unter den Anwesenden gewettet worden, wer anfängt. In einem Abkommen zwischen den Einsatzkräften der Polizei und dem zuständigen Stadtbezirk war im Vorfeld festgelegt worden, dass ein Feuer nicht höher als 5,55 Meter sein darf. Die Kräfte zum Ausmessen der Höhe standen bereit, während die Schwarzen noch dabeiwaren, Zutaten für das Feuer auf der Mitte der Kreuzung der Oderberger Straße
aufzustapeln, da, wo einst die Vorlandmauer stand, einigen Hörern wird das noch ein Begriff sein: Obstkisten, Teile von Werbetafeln, Zimmertüren. Ein kleiner Peugeot mit Hamburger Kennzeichen wurde vorsorglich von sechs Punks weggetragen, wofür ihnen zehn Pluspunkte gutgeschrieben werden. Um 23.25 Uhr gab Brandschutzmeister Bromme bekannt, dass das Feuer eine Höhe von 5,95 Metern habe, worauf der Befehl zum Löschen an die Feuerwehr erging. Die gegnerische Hälfte gab daraufhin vor fünf Minuten den Befehl zur Verteidigung. Dieses Jahr wird also wieder mit erhöhtem Schwierigkeitsgrad gekämpft, beide Gegner haben in ihren Reihen verstärkt Ortsunkundige eingesetzt, die die Regeln durcheinanderbringen. Fragen wir doch gleich einmal die Runde, zum Beispiel Sie, mit dem roten Kapuzenpulli. Wie heißen Sie, und von wo sind Sie angereist? – Ick bin der Rico aus Strausberg. – Dieses Jahr neu im Team? – Jawoll, janz neu. – Was gibt Ihnen die Motivation, hier zu kämpfen? – Mir wurde jestern die Stütze jesperrt. – Wieso? -Anjeblich Schwarzarbeit, dabei hab ick nur ’nem Freund beim Malern jeholfen. Ick meine, wat is ’n das für’n Scheißkapitalismus, wo man nich ma’m Freund helfen darf? Is doch wahr. Ick könnt mir uffrejen. – Und da geht er auch schon vor und wirft eine Flasche zur gegnerischen Seite, aber sie verflüchtigt sich ins Seitenaus. Einwurf für die Grünen. Dort der Kämpfer mit der Nummer 2425, Augenblick, ich muss erst meine Liste durchsehen: Uwe Gatzer von der Kampfvereinigung Baden-Württemberg, er fordert einen Wasserwerfer an. Der Kampf geht also schon recht früh in die zweite Runde. Der Schwarze Block kommt mit Nachschub. Und da sehen wir auch schon den rumänischen Meister im Gewichtheben, Aki Calderari, Teilnehmer der Olympiade 1980 in Moskau. Er bringt eine ausgewachsene deutsche Eiche und wirft sie ohne große Anstrengung ins Feuer. Die Menge applaudiert. – Aki Calderari, ich erinnere mich nur an eine internationale Dopingsperre? – Ja, davor trat er aber noch bei den Wettkämpfen im Mittelschwergewicht bei der Sommerolympiade in Los Angeles 1984 an, wo Rumänien als einziges sozialistisches Land teilnahm, weil es den Boykott der Sowjetunion und ihrer Verbündeten
nicht unterstützte. Die Rumänen gewannen fast alle Medaillen der Gewichtheberwettbewerbe, weil mit den sowjetischen Sportlern die gesamte Weltspitze fehlte. – Wurden die Rumänen nicht sogar Zweiter in der Gesamt-Medaillenwertung? – Ja, aber entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbrechen muss, Hubert, denn in diesem Moment fährt ein vielleicht zwölfjähriger Junge auf einem Skateboard mitten durch das Kampfgetümmel. Augenscheinlich ist er keiner der beiden kämpfenden Parteien zuzuordnen, und siehe da, einer der Grünen, der Spieler mit der Nummer 2212, zieht ihn aus der Schusslinie und wirft ihn vom Brett. Der Junge schreit, und der Grüne
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