Walpurgistag
wie eine aussieht, die so geil sein kann.« – »Und wie sah sie aus?« – »Sie wäre mir auf der Straße nicht aufgefallen. Sie hatte irgendwie nichts Spezifisches. Nicht schön, nicht hässlich, aber innerhalb von Sekunden ist sie absolut wandelbar.«
Sie schieben ihre Räder in Richtung Gleimtunnel. Niemand kommt ihnen entgegen. Die Bäume heben sich silhouettenhaft von dem inzwischen fast vollständig bedeckten Himmel ab. Hosch sieht nur einen einzelnen Stern über sich. Vielleicht der mittlere Deichselstern des Großen Wagens. »Ich habe neulich im Wedding eine original Berliner Kneipe gefunden. Mit türkischem Betreiber«, sagt Hosch. »Merkt man aber nur daran, dass auf der Getränkekarte so viele Fehler sind. Deutsch Pils für 62 Cent. Lass uns dort doch noch hin, da schmeißt uns bestimmt keiner raus.« – »Du, bist du mir sehr böse, wenn ich dich nur bis zum Ende des Tunnels begleite?«, fragt Micha. »Ich habe Heike versprochen, dass ich nicht so lange bleibe. Muss morgen wieder zehn Haushalten das Gas abklemmen. Außerdem ist Fußball.« – »Scheiße, hab ich ganz vergessen. ManU gegen Leverkusen. Bin ich bescheuert?« – »Ich würde eher sagen, triebgesteuert.« – »Fußball fällt ebenfalls unter Triebgesteuertsein. Wann ist der Anpfiff noch mal?« – »20.45 Uhr. Wollen wir uns in Kreuzberg verabreden? Vorher noch Fettes Brot am Oranienplatz?« – »Oranienplatz? Wieso das denn? Neue Location?« – »Nein. Open Air zur Walpurgisnacht.« – »Ich hab mich um acht mit Ina verabredet.« – »Vielleicht seid ihr ja zur Pause fertig.« – »Ich habe nicht an eine Fünf-Minuten-Terrine gedacht.« – »Schade, ohne dich macht Fußballgucken keinen Spaß.«
Sie sind am Gleimtunnel angekommen, der den Mauerpark in Richtung Wedding unterquert. In Wirklichkeit ist es gar kein
Tunnel, eher eine schlecht beleuchtete Brückenunterführung. Wasser tropft von der Decke, was sich anhört, als ob Frösche auf die Fahrbahn klatschten. Micha versucht zu jodeln. Es klingt furchtbar. Hosch bekommt, wenn er nachts hier mit dem Taxi durchmuss, immer Beklemmungen, lieber macht er einen Umweg. Er ruft sich dann manchmal in Erinnerung, dass hier vor dreizehn Jahren noch die Mauer stand und der Tunnel die Grenze bildete. Vom Haus seiner Großmutter aus konnte man den ganzen Tag die Grenzpolizisten beobachten. Damals wollte er immer wissen, wie es im Tunnel und dahinter aussieht. Aber die Grenzpolizisten ließen ihn nie weiter als bis zum Eingang vor.
» Weißt du, was ich möchte?« Michas Stimme klingt im Tunnel, als käme sie aus einem tiefen Brunnen. »Krankmelden und dann einen ganzen Tag nur mit ihr ficken.« Am anderen Ende der Unterführung sieht Hosch den Lichtkegel eines Pkw. » Warum tust du es nicht?« Als das Auto auf ihrer Höhe ist, versteht er kein Wort mehr von dem, was Micha ihm antwortet. Dann fragt Hosch: » Weißt du, welche Frage für mich die wichtigste ist?« – » Wie es dir gelingt, ohne die Situation zu zerstören, das Kondom überzuziehen. « – »Nein, wann Schluss ist. Man kann so eine Beziehung nicht ewig führen. Irgendwann wird das anstrengend.« – »Du hast noch nicht einmal angefangen und denkst schon über das Ende nach? Ich mache mir da null Gedanken. Nächste Woche treffen wir uns wieder im Zimmer 65. Ich bin jetzt schon spitz. Wollen wir wetten, dass das mit dem Kirschkern eine Anspielung ist?« – »Ich weiß nicht.« – »Nimm’s als Abenteuer.«
Sie sind am Ende des Tunnels angekommen. An der Ampel steht ein junges Mädchen, starrt auf ihr Handy und flucht auf Türkisch. Das deutlichste Zeichen, dass sie wieder im Westen sind.
»Grüß Heike von mir«, sagt Hosch zum Abschied und steigt auf sein Fahrrad. Micha klopft ihm dreimal auf die Schulter "0. k., wir sehn uns. Und bleib locker, Kumpel.« Dann fährt er jodelnd nach links in die Graunstraße.
1.42 Uhr
Hosch macht einen Umweg über Wedding, wo er mit dem Kopf gegen einen Heizkörper knallt
Wie kriegt der das immer wieder hin, fragt sich Hosch, während er nach rechts abbiegt. Micha ist nicht besonders attraktiv, und trotzdem hat er eine tolle Frau, die er Mitte der achtziger Jahre in einer Ostberliner Diskothek kennengelernt hat. Damals fuhr er jedes Wochenende zum Vögeln rüber. Zurück in der Kreuzberger WG, protzte er dann mit seinen sexuellen Abenteuern. Damals behauptete Micha, ein bisschen Schokolade und Baileys reichten aus, um die schönsten Mädels einzuwickeln. Einmal hat Micha ihn
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