Walpurgistag
gerade aus, als sei das ihr Traumberuf, denkt Hosch. Sieht eher aus wie eine, die mal Größeres vorgehabt hat. So wie er. Dann geht es ganz schnell. »Hände hoch oder wir schießen euch aus wie Mäusescheiße«, hört er von hinten. Komisch, denkt Hosch, der Satz klingt wie auswendig gelernt.
Sie tragen Skimützen, in die sie Löcher hineingeschnitten haben. Ein Kleiner mit krummen Beinen, der den Satz mit der Mäusescheiße gesagt hat, sichert die Tür. Ein Langer stellt sich in die Kneipenmitte, einer postiert sich neben Hosch an der Theke, der Vierte zieht hinter dem Tresen den Stecker der Stereoanlage heraus. »Cindy, oh, Cindy, dein Herz muss traurig sein«, singt es Hosch noch einen Moment lang im Ohr. Die Wirtin hat notgedrungen die Hände aus dem Spülbecken gezogen und erhoben. Wasser tropft von den Ellenbogen auf die Theke. Hosch sieht dabei zu, wie der Maskierte, der das Radio ausgemacht hat, das halb gezapfte Bier, das eigentlich für ihn, Hosch, bestimmt ist, in einem Zug austrinkt. In der rechten Hand hält er eine Pistole, den
Zeigefinger am Abzug, den Lauf tief zwischen die Schulterblätter der Wirtin gegraben. Der Typ neben Hosch greift über die Theke und nimmt sich die Brieftasche der Wirtin, Hosch schaut dabei in den Lauf einer anderen Pistole. »Vergiss es«, sagt die Wirtin, und ihr Lispeln verstärkt sich zu einem Stottern, »was willst du mit 10,50 Eure?« – »Ausjeben«, sagt der Typ hinter dem Tresen. »So, und jetzt alles auf den Tisch. Brieftaschen, Handys, Schlüssel, und wehe, ihr vergessen was.« Der Typ neben Hosch hat auf jeden Fall eine andere Muttersprache als der Bierdieb.
Der Alte scheint inzwischen aufgewacht zu sein. Er greift mit einer Behändigkeit, die Hosch nicht von ihm erwartet hätte, nach einer seiner Krücken und versucht, damit dem Typen neben Hosch die Maske vom Gesicht zu reißen. Hosch erschrickt, als er bemerkt, dass sich darunter ein Kindergesicht verbirgt. Der mit den krummen Beinen schießt sofort in Richtung des Alten, aber er trifft nur die Theke, in der jetzt ein babyfaustgroßes Loch ist. »Bist du verrückt?«, fragt ihn der Maskierte neben Hosch. »Ach, leck mich, Miran, ich mach die kalt, alle«, sagt der Krummbeinige und zielt auf die Lampe.« – »Dann darfst du nachher die Patronenhülse suchen, Arschloch.«
Hosch nimmt das zehntelsekundenlange Durcheinander zum Anlass, mit zwei Sätzen in die Toilette zu springen und abzuschließen. Hinter dem Toilettenfenster grinsen drei Mädchengesichter, die ihn vom Hof aus beobachten. Ob das Komplizinnen der Verbrecher sind, denkt Hosch, und: Dass auch immer Gitter vor den Toilettenfenstern sein müssen. Aus dem Schankraum hört er einen durchdringenden Schrei der Wirtin und Schritte, die näher kommen. Dann tritt der Krummbeinige die Toilettentür ein und wirft sich von hinten so auf Hosch, dass der, ohne den Sturz abbremsen zu können, auf die Fliesen fällt und mit dem Kopf gegen den Heizkörper unter dem Fenster knallt. Micha, schießt es Hosch durch den Kopf, Micha hat es richtig gemacht, schön zu Hause bei Heike auf dem Sofa. Dann verliert er das Bewusstsein.
2.10 Uhr
Sugar, Cakes und Candy schauen bei einer Verhaftung zu und lachen sich ins Fäustchen
Von Weitem ist das Geräusch einer Sirene zu hören, das schnell lauter wird. Dann quietschen Bremsen. Cakes, die sich mit Sugar und Candy im Hinterhof versteckt hält, grinst und schaltet ihr Handy aus. Soll mal einer behaupten, sie hätte die Polizei gerufen. Das Handy hat sie ihrem Bruder Miran heute Nachmittag vor dem Dönerladen unbemerkt aus seiner Arschtasche gezogen. Durch das offen stehende Fenster der Herrentoilette, das den Blick auf ein Stück des Tresens freigibt, verfolgt sie mit ihren beiden Freundinnen das Geschehen. Ein Blaulicht huscht über das Flaschenregal hinter dem Tresen und verflüchtigt sich dann, um nach kurzer Zeit wiederzukehren. Der Maskierte, der eben noch auf den Leblosen in der Toilette eingetreten hat, rennt panisch in den Schankraum zurück. »Den kriegen sie«, sagt Candy, »schön blöd, wenn man schon wieder vergessen hat, dass man gestern vorsorglich das Gitter des Klofensters gelockert hat. Warum machen die sich die Arbeit, wenn sie es dann doch vergessen?« – »Ich hab gleich gesagt, von seinen Brüdern kann man nichts lernen, das sind Loser mit Riesenklappen. Und jetzt werden sie sich gegenseitig verpfeifen.« Sugar lehnt mit dem Rücken an der Hauswand und starrt gelangweilt auf ihre manikürten
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