Walpurgistag
ist das auch Quatsch, das Haus nachbauen zu wollen. Sie ist doch nicht mehr im Kindergarten, seit zwanzig Jahren nicht mehr. Und tragen darf sie auch nichts Schweres. Sie schreibt noch »Diverses erste links« auf den Karton, in dem die großen Teller sind. Dann noch »Musik«, »Naujocks«, »Mutter & Sohn Stenz«, »Trautwein«, »Besetzer« auf fünf andere.
Gerda Schweickert wäscht sich die Hände und geht zurück ins Bett. Bevor der Schlaf kommt, fällt ihr noch ein, dass sie der Ziebarth unbedingt die Kaffeemaschine wieder wegnehmen muss, denn womit soll sie sonst morgen den Möbelpackern Kaffee kochen? Ihr gelingt es aber nicht, sich noch einmal zu erheben.
2.45 Uhr
Micha Trepte hat einen miesen digitalen Traum
Micha Trepte, der sich in diesem Moment, noch leicht betrunken, in der Wirklichkeit wähnt und nicht in einem Traum, den er, seinen Körper neben dem seiner Ehefrau Heike gebettet, träumt, erhält einen Brief, den ihm ein Postbote persönlich gegen Unterschrift überbringt.
Darin wird ihm erklärt, dass er nach dem Zufallsprinzip ausgewählt worden sei, seine Träume von einem Forschungsteam digital aufzeichnen und auswerten zu lassen. Die Teilnahme abzulehnen sei ihm nicht möglich, denn es sei ein staatliches Projekt und er habe bei Nichtbeteiligung mit empfindlichen Geldstrafen, wenn nicht gar Freiheitsentzug zu rechnen. Im Kleingedruckten wird die diesbezügliche Rechtslage verglichen mit einer Verpflichtung als Schöffe, vor der man sich auch nicht drücken könne.
Kurz darauf steht sein Betreuer vor seiner Tür. Mit den virtuellen Träumen habe es, so erklärt dieser, folgende Bewandtnis: Während man die analogen Träume von jeher ganz für sich alleine habe und sie auch so schnell wie möglich vergessen könne, wenn man wolle, würden die digitalen von einem Computer aufgezeichnet, abgespeichert und ausgewertet. Abgesehen davon, dass eine Auswertung bezüglich des Konsumverhaltens von der Industrie für gezieltere Werbung genutzt werden könne, weswegen bestimmte Konzerne das Projekt auch finanziell unterstützten, habe doch die Datenerhebung vor allem einen Zweck: Man erhoffe sich Informationen über die Planung von Verbrechen. Auf folgende Fragen solle dabei Antwort gefunden werden: Wie viel Prozent der Leute, die im Traum Straftaten begehen, tun dies auch in der Realität? Und kann man – das sei allerdings noch Zukunftsmusik – durch gezieltes Eingreifen in die Träume Straftaten gewaltbereiter Extremisten
oder notorischer Krimineller verhindern? Diese Traumforschungen seien aus gegebenem und für ihn ja wohl auch nur allzu verständlichem Anlass in den vergangenen Monaten forciert worden. Hätte man nämlich, so der Betreuer, die Träume eines Verbrechers wie Mohammed Atta per Computer im Vorhinein analysiert, hätte man ihn vor den Terroranschlägen gezielt aus der Menge, in der er ja so erfolgreich untergetaucht war, herausgreifen und verhaften können. Man nehme des Weiteren an, dass, wer im Traum Verbrechen begehe, auch in der Realität unter bestimmten Umständen dazu bereit sei. Außerdem werde ein Beschluss zur Abstimmung im Bundestag vorbereitet, der besage, dass man für Vergehen im Traum von einem realen Gericht verurteilt werden könne, auch um potenzielle Straftäter abzuschrecken.
Micha Trepte ist nun also per Dekret Teil eines Pilotprojektes.
In seinem ersten digitalen Traum fährt er mit dem Fahrrad die Ackerstraße hinunter. In Schlangenlinien, denn er ist betrunken, ja, natürlich, er war ja in der Schwulenbar, mit Hosch. Da stößt er aus Versehen an den Koffer der Nachbarin, die am Straßenrand steht und auf ein Taxi wartet. Er fällt hin.
Die ganze Familie Trepte ist mit der Nachbarin, die eine Etage unter ihnen wohnt, zerstritten, weil sie die Schritte über ihrem Schlafzimmer so stören, dass sie schon etliche Male die Polizei geholt hat, was Micha Trepte stets mit dem Abspielen des Doppelalbums S & M von Metallica beantwortete. Zwanzig Songs hintereinander. Was wiederum Heike nicht so gut fand und Klara dazu brachte, die Tür zuzuknallen.
Die Nachbarin möchte nun ausziehen, ein Grund zur Freude für Familie Trepte. Gerade hat Micha sich aufgerappelt, der Frau einen guten Umzug und sich und seiner Familie schwerhörige Nachbarn gewünscht und ist wieder auf sein Fahrrad gestiegen, da kommt er erneut ins Schleudern und stößt mit dem Lenker gegen ein am Bordstein parkendes Auto. Mit einem lang gezogenen Ratsch streift der rechte Bremsgriff den Lack über
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