Walpurgistag
Gedächtnistraining.
Der Jüngere verschleppt seinen Bewegungen nach nicht allzu häufig leblose Körper in Gebüsche. Er bewegt sich überhaupt eher selten. Er trägt einen Anzug, der eine Nummer zu klein ist. Zwei Meter ist er mindestens groß und schaut sich wie ein Angsthase bei jedem Schritt um. Wahrscheinlich ist diese Tat abträglich für seine Karriere. Möglich, dass er daran denkt, den anderen irgendwann umzubringen, wenn der ihm gefährlich werden könnte. Bisher hat er so was nur in Fernsehfilmen gesehen, denn er ist fernsehsüchtig. Der Kleinere ist abgebrühter, Typ Erpresser. Eines Tages werden sie die Rechnungen dieser Nacht begleichen, und der Jüngere wird leer ausgehen.
Als das Auto weg ist, robbe ich vorsichtig auf die abgelegte Person zu. Sie versperrt den Eingang zu meiner Höhle, die ich jedes Jahr im April beziehe und die noch nie ein Mitarbeiter des Gartenamtes gefunden hat. Vielleicht übersehen sie mich auch mit Absicht. Sie sammeln Papier, Büchsen und Flaschen auf und mähen den Rasen. Mit den Büschen geben sie sich nicht ab.
Die Gestalt verströmt einen säuerlichen Geruch. Wahrscheinlich hat sie sich unterwegs übergeben. Auch eine Spur Alkohol rieche ich heraus. Ich bin erleichtert, als ich ein leichtes Schnarchen höre. So ein Damenschnaufen. Nicht, dass mich diese Person im Geringsten interessierte, aber neben einer Leiche möchte ich die Nacht nicht verbringen. Ganz am Anfang meiner Karriere
als Obdachloser ist mir das mal passiert. Ich war betrunken und bin auf dem Gelände hinter dem Ostbahnhof herumgestolpert. Irgendwann ließ ich mich fallen und schlief einfach ein, ohne mich vorher umzusehen. Als ich am anderen Morgen aufwachte, lag ich neben einer schon stark verwesten Leiche. Den Geruch habe ich immer noch in der Nase.
Ich drehe vorsichtig den Kopf der Person. Es ist tatsächlich eine Frau. Bis auf eine kleine Schramme an der Stirn ist sie im Gesicht nicht verletzt, aber ziemlich schmutzig. Ein Gemisch aus Rotz und Wasser. Nicht mehr ganz jung, vielleicht Mitte dreißig, intelligentes Gesicht, jedenfalls im Schein der Laterne.
Morgen früh wird die Kälte sie hochtreiben, und sie wird nach Hause gehen. Ich habe viele dieser Frauen auf dem Alexanderplatz kennengelernt. Meist kamen sie aus der Provinz und hatten ihren Ehemann, ihr Eigenheim und manchmal auch ihre Kinder verlassen. Eine hatte sogar Haus mitsamt der Familie mit Gas in die Luft gesprengt.
Die Frau stöhnt leise. Ich schiebe sie von meiner Höhle weg, weiter in die Büsche hinein, damit niemand sie entdeckt, und lege ihr eine meiner Decken über. Dann begebe ich mich zur Ruhe und mache Pläne für den morgigen Tag. Ich muss Sugar, Cakes und Candy im Auge behalten, und ich muss ... ja, was muss ich ... irgend etwas, das unbedingt ... in dieser Nacht ... irgendetwas habe ich noch vergessen ... Aber eigentlich ist das auch egal ... Sie können mir mal alle gestohlen bleiben ...
Da kommt Sugar aus einer Ecke hinter dem Fernsehturm und bittet: Lass uns heiraten. Aber natürlich, sage ich, ich liebe dich, aber nimm doch bitte eine andere Tasche. Das Schiff, auf dem wir uns befinden, gerät ins Schlingern. Donner, Blitz und Regen. Es ist ausgemachte Sache, dass wir nach Sardinien fahren.
Ich schrecke hoch und schaue auf die Uhr. Es ist schon nach vier. Ich habe den Termin mit Annja vergessen.
4.30 Uhr
Annja Kobe lässt einen großen Gegenstand vor sich hertragen
Ich schrecke aus dem Schlaf hoch und schaue auf meine Armbanduhr. Die neongrünen Zeiger stehen auf halb fünf. Ich habe verschlafen. Die Kerzen sind heruntergebrannt, es ist stockdunkel. Wo sind die anderen? Wir waren um vier hier verabredet. Sie sind schon eine halbe Stunde überfällig. Ich werde leicht panisch, überlege, was alles passiert sein könnte. Aki abgestürzt beim Versuch, in Liebigs Fenster einzusteigen. Alex von einem Kommando des KGB wegen Geheimnisverrats hingerichtet. Liebig hat wieder angefangen zu trinken. Und gleich stürmt die Polizei mit einem Sondereinsatzkommando in den Bunker und schaut als Erstes in die Kühltruhe.
Wenn Alex nicht kommt, muss ich den Transporter fahren. Ich ärgere mich, dass ich mir den Führerschein nicht für einen Tausender von den rumänischen Ausweisfälschern habe machen lassen. Aki hatte mir den Kontakt zu der Autoschrauberbude mit Hinterzimmer in Moabit vermittelt, aber es waren mir zu windige Gesellen. Im Gegensatz zu Alex, der keine Autoritäten anerkennt und ohne jeden Ausweis durch die Welt
Weitere Kostenlose Bücher