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Walpurgistag

Walpurgistag

Titel: Walpurgistag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annett Groeschner
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so.« – »Danke, danke, dankeschön, danke.« Muttern war schon immer eine großzügige Bedankerin, mindestens dreimal pro Kunde, auch wenn kein Trinkgeld dabei ist. Micha nimmt das Tablett vom Tresen und nickt ihr zu.
    Muttern wendet sich an die beiden alten Frauen, die hinter Micha Trepte in der Schlange stehen. »Hallo, Frau Menzinger«, sagt Muttern zu der größeren der beiden. »Umzug überstanden?« – »Leidlich, auch wenn ick mir immer noch ärgere, det se mich in so ’ne Seniorenburg jesteckt haben.« Die Frau Menzinger genannte winkt ab. »Reden wir nich weiter drüber. Hat mich jenuch Nerven jekostet. Det is Frau Köhnke, meine neue Nachbarin, wir komm’n jetze öfter.«
    Die beiden alten Frauen haben die letzten beiden Plätze, die nicht an Monis Tisch sind, mit ihren Jacken reserviert, obwohl über ihnen das Schild hängt, dass die Plätze erst nach Erhalt der Waren einzunehmen sind. Jetzt ist nur noch bei Moni frei, die anderen vier Tische sind von Männern im Blaumann besetzt, die schweigend essen und nur ein Geräusch machen, wenn sie die Kaffeetasse auf die Untertasse zurückstellen. Micha überlegt, ob er neben oder gegenüber von Moni Platz nehmen soll, er entscheidet sich für gegenüber, da, hofft er, betäube ihn der Geruch nach Alkohol und Einkellerungskartoffeln, der von Moni ausgeht, nicht ganz so stark. Um Moni nicht anschauen zu müssen, starrt Micha Trepte auf den Fußboden. Es ist immer noch der alte Belag mit dem Holzdielenmuster, bei dessen Anblick seine Frau Heike von üblen Erinnerungen befallen wird. Wenn Micha Trepte Gaszähler im Osten abliest, findet er ihn oft. Schlechter Geschmack ist zäh und langlebig.
    »Frau Köhnke, kieken Se ma, det sind die Hackepeterbrötchen, von denen ick Ihnen erzählt habe«, sagt Frau Menzinger, »ick war
hier immer, wat Muttern, immer mittags, weil ick die Schulspeisung nich abkonnte, ein elender Fraß, aba det wissen Se ja, Sie war’n ja ooch inner Volksbildung. Ick war hier vorne uff der Dimitroff Hortnerin, inner 15. Oberschule mit dem schönen Namen Wilhelm Böse.« Und zu Muttern gewandt: »Ick nehm wie immer, aber ohne das Hackepeterbrötchen, wegen Cholesterin.« Muttern legt ihr zwei Käsebrötchen und eins mit Rührei auf den Teller. »So is jut. Und denn noch ’n Kaffee, aber mit ’n bisschen heißet Wasser, Sie wissen schon, mein Herz is ja nich mehr det jüngste.« Wenn Heike jetzt hier wäre, hätte sie längst ein paar böse Worte über Frau Menzinger verloren. Sie hatte als Kind schwer unter einer bösen Hortnerin gelitten, es könnte glatt Frau Menzinger gewesen sein. Micha Trepte hingegen hatte sich nach der Schule immer zu Hause langweilen müssen, wo weiter niemand war als seine Mutter, die in Küche oder Garten werkelte und sich dauernd beklagte, keine Zeit zu haben, weil der Haushalt sie auffresse. So war das im Westen als Einzelkind. Lieber hätte er Heikes Kindheit zwischen lauter anderen Kindern gehabt. Heike ist da anderer Meinung.
    Die andere alte Frau, die nur die Hälfte der Masse hat, die Frau Menzinger ihr Eigen nennt, sagt mit leiser Stimme, dass sie ein Salamibrötchen möchte und einen Kaffee. »Mensch, kosten Se doch mal von dem Hackepeter, Frau Köhnke, Sie können sich das doch noch leisten«, aber die schüttelt den Kopf und bleibt mit dem Preis unter 1,50 Euro, wobei sie sich auf den Cent genau herausgeben lässt. Muttern sagt trotzdem dreimal Danke.
    Heike war hier in den achtziger Jahren Stammkundin. Nach der Wende kamen erst Klara und dann Micha dazu, und beide wurden aufgenommen in die große Essfamilie von Muttern. Moni gehörte auch dazu, aber da hat sie noch nicht so viel getrunken und war auch weniger verfallen. Den Anorak, erinnert Micha sich, hatte sie damals schon. Grün mit eingestickten Rhomben. Jetzt ist er an den Ellenbogen aufgescheuert, und die weiße Watte quillt aus den Löchern.
    Moni zieht den Teller dichter an ihren Körper heran. Ihre Finger sind gichtig, die Suppe schwappt über. Muttern klappt
eine Seite ihres Tresens hoch und schlüpft durch den dabei entstandenen Durchgang. Moni greint, als Muttern ihr den Teller wegnimmt und darunter wischt. Erst jetzt fällt Micha auf, dass Moni keine Vorderzähne mehr hat. »Mensch, Moni, pass mal ein bisschen auf.« Muttern stellt den Teller an seinen Platz, verschwindet wieder hinter dem Tresen und wringt den Lappen unter dem Wasserhahn aus.
    » Also doch Moni, ich fass es nicht«, sagt jemand hinter Michas Rücken, aber so leise, dass

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