Walpurgistag
wir da noch für Kassenzettel?«
Sie hält ihm zwei Thermopapierzettel hin, deren Schrift schon am Verblassen ist.
» Mala Czarna Espresso bar, ul. Hoza 54, Warszawa, und 9 Zloty, Reszta, Coffee Heaven Dworzec Centralny«, lese ich. »Du musst eine Vorliebe für Latte macchiato haben.« – »Kann sein, kann nicht sein.« – »Was wolltest du auf dem Warschauer Hauptbahnhof? Da ist es doch furchtbar dunkel.« – »Ich erinnere mich nicht. Warst du da schon mal?« – »Vor zwei Jahren. Habe ein Hin- und Rückticket gefunden. Da bin ich einfach losgefahren.« – »Wo findet man denn Hin- und Rücktickets?« – »Im Papierkorb. Wahrscheinlich ist jemand ausgeraubt worden und der Räuber wollte nicht nach Warschau. Aber zu dir. Du warst also in der Hauptstadt Polens, den Kassenzetteln nach zu urteilen zwischen, Moment, 2. März und 15. April. Da bist du also gerade erst wiedergekommen. Was hast du da so lange gemacht? Oder bist du mehrmals hin- und hergefahren? Weil du vielleicht bei der Bahn arbeitest oder im Goethe-Institut? Was weiß ich. Kennst du das Haus, das wie eine Kleckerburg aussieht, gleich neben dem Bahnhof?«
»Hör auf, hör auf, das ist zu viel«, schreit sie. »Ich muss das langsam angehen. Jemand hat meinen Kopf geleert, und ich weiß noch nicht, wo das alles hingekommen ist.« – »O. k., ich mach dir einen Vorschlag. Wir nehmen jetzt deine fünf Euro und gehen im Bahnhof frühstücken. Reicht leider nicht für einen Latte macchiato, aber ein Burger ist schon drin. Wollen wir mal sehen, ob du so was überhaupt isst.« Sie nickt und zieht ihre Jacke richtig herum an. »Und dann werden wir Leute beobachten. Du bekommst von mir ein Notizheft und einen Stift und schreibst alles auf, was du siehst. So als Übung.«
»Ah«, sagt sie plötzlich und zieht ein weiteres Stück Papier aus einer der Jackentaschen und hält es mir hin. »Eine Monatskarte. Gültig bis morgen. Schade, dass dein Name nicht draufsteht. Aber auch gut. Fahren wir ein bisschen rum. Wir können zu Annja fahren und da duschen. Wirst sehen, das klärt sich alles auf.«
Wie wir da so über die Wiese in Richtung Bahnhof schlendern, könnte man uns auch für ein Liebespaar halten. Alex und seine neue Braut gehen frühstücken. »Burger King oder McDonald’s?«, frage ich sie, und meine neue Braut sagt: » Weiß nicht.«
7.29 Uhr
Der Sperrkassierer Micha Trepte futtert bei Muttern in der Danziger Straße
Moni sitzt in der Ecke des Imbissladens und schlürft ihre Suppe. Sie ist so klein, dass sie auf einem Kinderkissen sitzen muss. Ihre Füße, die in rosa gesprenkelten Kinderschuhen stecken, reichen nicht bis auf den Boden. Muttern hat ihr eine Unterlage aus Wachstuch unter den Teller gelegt, um die karierte Tischdecke vor ihrer Kleckerei zu schützen. Heut gibt’s grüne Bohnen. Mit viel Bohnenkraut.
Alles in Monis Ecke riecht nach Alkohol, selbst die Suppe. Wie kann man am frühen Morgen schon Bohnensuppe essen, denkt Micha.
»Mensch, Herr Trepte, auch mal wieder hier? Lange nicht gesehen.« Muttern reicht ihm die Hand über den Tresen. »Wie immer?«, fragt sie, und Micha nickt, obwohl er gar nicht mehr so genau weiß, was er damals immer gegessen hat, es muss Jahre her sein, dass er das letzte Mal hier war. Immer noch hängt die Fahne »Futtern wie bei Muttern« draußen, die Muttern ihren Namen gegeben hat. Im Hintergrund sieht Micha den Mann von Muttern am Herd. Er ist erschreckend abgemagert, aber er trägt immer noch den dunkelblauen Kittel. Er winkt ihm zu.
Muttern legt zwei Hackepeterbrötchenhälften, eine mit Rührei und eine mit Käse, auf seinen Teller. Micha sagt nichts, er weiß gar nicht, wann er das letzte Mal Hackepeter gegessen hat, es muss wohl hier gewesen sein. Muttern schenkt ihm eine Tasse Kaffee ein. »Alles gut mit der Familie?«, fragt sie. Micha nickt. » Was macht die Schule?« – »Ich hab den Beruf gewechselt, bin jetzt bei der GASAG, ist weniger nervenaufreibend als in der Schule.« – »Gasuhren sind nicht so undiszipliniert, was?« Micha muss lachen. »Das denken Sie!« – »Naja, Gas wird immer gebraucht, bei den vielen Gasheizungen,
die in den letzten Jahren eingebaut worden sind«, sagt Muttern. »Aber nichts ist ewig, auch wir werden bald durch Computer ersetzt. Und bei Ihnen?« – »Die nächste Mieterhöhung werden wir wohl nicht überstehen. Dann müssen wir in Rente gehen.« – »Kann ich mir bei Ihnen gar nicht vorstellen.« Micha schiebt fünf Euro über den Tresen. »Stimmt
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