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Walpurgistag

Walpurgistag

Titel: Walpurgistag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annett Groeschner
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Moni es nicht hören kann. Es ist Frau Köhnke, die ein Erschrecken in der Stimme hat, das echt zu sein scheint. »Die war mal meine beste Schülerin.« – »Die war Ihre Schülerin? Die ist doch älter als Sie«, trötet Frau Menzinger, und Frau Köhnke flüstert: »Die ist erst fünfzig. 1958 eingeschult worden, da war ich noch in der 26. Oberschule, wissen Se, die Thomas Mann in der Greifenhagener.« – »Entschuldijen Se ma, die sieht doch aus wie fünfundsiebzig.« – »Moni kam aus ’ner Trinkerfamilie, war aber das Ergebnis eines Seitensprungs der Mutter, weswegen sie unter dem Mann der Mutter immer ziemlich zu leiden hatte. Ihre Geschwister, naja, aber sie, schnelle Auffassungsgabe. Ich hätt sie am liebsten adoptiert, aber mein Mann wollte nicht, hat immer gesagt, dann haben wir die ganze Sippe auf dem Hals. Ich hab sie aus den Augen verloren, als die Familie ins Bötzowviertel umgezogen ist und da die Gegend unsicher gemacht hat. Ich wusste nicht, dass sie auch angefangen hat mit dem Schnaps.« – » War wohl doch keen Seitensprung.« Frau Köhnke schweigt zu Frau Menzingers Bemerkung. Micha Trepte findet die Menzinger ziemlich anmaßend.
    Moni hebt den Teller hoch und ruft: »Noch mal!« Muttern gibt Nachschlag. Um Moni nicht bei ihrer Matscherei zusehen zu müssen, schaut Micha an die Wand, wo immer noch das Schild hängt: »Hier läuft das Essen nicht vom Band, hier kocht man noch mit Herz und Hand.« Heike hat ihm erzählt, dass hier vor der Wiedervereinigung die Urkunden des Gaststättenwettbewerbs der Parteizeitung Neues Deutschland gehangen haben, den Muttern jedes Jahr gewonnen hat.

    »War’n Sie immer an der Thomas Mann?«, fragt die Menzinger Frau Köhnke. »Nee, als sie in Lichtenberg die Hochhäuser gebaut haben, hat man mich da in eine Neubauschule versetzt. Vinzent Porombka hieß die. Lauter Stasikinder. Hab ich ’n Nervenzusammenbruch jekriegt. Bin ich zurückversetzt worden in den Prenzlauer Berg, in die 14. Oberschule gegenüber von der Immanuelkirche. Karl Baier hieß die. Da war’n nur Assikinder, hab ich wieder ’n Nervenzusammenbruch gehabt und war dann bis zur Rente hier um die Ecke in der Senefelder in der 9. Oberschule, Otto Schieritz. Die war in Ordnung, aber die is ja nun geschlossen.« – »Und da waren Sie nie hier? Das war doch nur ein Katzensprung.« – »Ich hab immer abends gekocht.«
    Moni setzt den Teller an ihre Lippen und schlürft die Suppe. Die Hälfte läuft daneben und saut die Ärmel des Anoraks und das Wachstuch auf dem Tisch ein. Der Rest tropft auf den Fußboden. Micha kann nicht mehr hinsehen, er würgt den letzten Happen seines Hackepeterbrötchens hinunter und stellt Teller und Kaf feetasse auf dem Tresen ab. Muttern schaut ihn an, als wollte sie sich für Moni entschuldigen. »Grüßen Sie Ihre Frau und kommen Sie noch mal, ehe wir zumachen müssen.« – »Bestimmt.« Als er seine schwere Monteurstasche nimmt, fragt sie: »Braucht man als Gasableser so viel Werkzeug?« – »Ich bin seit Kurzem Sperrkassierer, ich stell das Gas ab.« – »Du Rabenaas«, sagt Moni plötzlich und springt vom Stuhl auf, »du warst det neulich.« – »Ich war gar nichts«, sagt Micha Trepte und macht, dass er rauskommt. Hinter sich hört er noch, wie Frau Köhnke ruft: »Mensch, Moni, bleib ganz ruhig und setz dich schön auf deinen Platz.«
    Manche Tage werden verloren sein, ehe sie richtig angefangen haben, denkt Micha Trepte, als er über die Kreuzung Prenzlauer/ Danziger in Richtung Greifswalder läuft. Dieser Tag ist nicht einmal acht Stunden alt und hat sich noch nicht entschieden, ob er schön wird. In der Nacht hat Micha Trepte gehört, wie es regnet, jetzt sind nur noch die Straßen nass und der Himmel bewölkt. Ihm fällt wieder ein, dass er am Ende seines nächtlichen Traums durch die Windschutzscheibe eines Polizeiautos geflogen
ist, mit bunten Elektroden am Kopf und geradewegs in diesen trüben Tag.
    Er hätte ausschlafen können, denn sein erster Termin ist erst mittags um zwölf. Aber er konnte nicht mehr einschlafen. Die Traumbilder waren irritierend klar, trotzdem hat er nicht alles behalten, nur dass er betrunken war und sein Fahrrad an einer Laterne abstellen musste. Es war dasselbe Fahrrad, das ihm gestern geklaut worden ist. Er hatte es unter den Brücken am S-Bahnhof Frankfurter Allee an einem Schild mit der Aufschrift »Gehwegschäden« angeschlossen. Am Abend gab es an der Stelle kein Verkehrsschild mehr. Und auch kein Fahrrad.
    Nun muss er

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