Walpurgistag
den Kopf.
»Fangen wir woanders an. Kommst du aus dem Osten oder aus dem Westen?« – »Keine Ahnung. Was denkst du?« – »Echt schwer zu sagen. Du stinkst wie eine Imbissbude mit Alkoholausschank. Da denkt man eher an Osten. Lichtenberg. Hohenschönhausen.
Nicht angesagte Teile von Friedrichshain. Könnte aber auch Westen sein. Wedding. Leopoldplatz. Oder Hermannplatz in Neukölln. Aber kein Lamm, kein Huhn, eher Schweinefleisch. Schuhe eher Westen. Du oder jemand anders hat sie gestern geputzt. Siehst du, da an der Seite sind leichte Schlieren von schwarzer Schuhcreme, die nicht richtig eingezogen ist. Müssen teuer gewesen sein, schätze so um die hundert Euro. Zeig mal das Schild am Hacken. >Blundstone, since 1870.< Edel, australische Arbeitsschuhe. Weißt du noch, wo du sie gekauft hast?« – »Nein.« – »Ein Wunder, dass du nicht auf Strümpfen dastehst. Machen wir weiter. Das ist eine Geschichte so ganz nach meinem Geschmack.« – » Warst du mal Detektiv?« – »Keine Ahnung, hab ich vergessen. Aber interessant. Aus welchen nichtbetroffenen Gehirnwindungen hast du denn den Begriff Detektiv geholt?« – »Ich weiß auch, dass die Zöpfe da auf deinem Kopf Rastalocken heißen. Und dass du eigentlich zu alt für so was bist.« – »Hört, hört! Machen wir den Berlin-Test. Ich sag einen Satz und du den nächsten. Pass auf: >Ne jut jebratene Jans ... <<< – »>... is ne jute Jabe Jottes.<« – »Das ist schon ein Fortschritt. Da können wir uns relativ sicher sein, dass du aus Ostberlin kommst. Leute, die den Konjunktiv benutzen und berlinern, sind immer aus Ostberlin, es gibt nur ganz wenige Ausnahmen. « – »Und woher kommst du?« – »Ich bin ein Grenzgänger, mal da, mal da.« – »Und wenn ich nun selbst eine Grenzgängerin bin?« – »Das haben wir gleich. Zeig mal deinen rechten Oberarm.« Sie dreht mir ihre rechte Schulter zu. »Nein, richtig ausziehen.«
Sie zieht erst die Jacke aus und dann ihren rechten Arm aus dem Ärmel des Pullovers. Sie hat dünne Oberarme, die in eigentümlichem Kontrast zu ihren großen Brüsten stehen. Kurz unter der Rundung des Arms zeichnen sich deutlich zwei kleine runde Narben ab.
»Du könntest ein Ostprodukt sein. Und nicht nach Mitte der siebziger Jahre geboren. So hat man gegen Pocken in der DDR geimpft, im zweiten Lebensjahr, zwei Stellen, am rechten Oberarm. Es gibt ein paar Ausnahmen im Westen, zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen, aber dann wärst du älter, als du aussiehst.«
Sie starrt auf die Narben, als erzählten die ihr irgendetwas. Oberhalb der Ellenbogen zeichnen sich deutlich die Abdrücke von Fingern als blaue Flecken ab, dort haben die Männer sie gepackt, die sie in die Büsche schleiften. » Wie alt hast du mich denn geschätzt?« – »Ende dreißig.«
Ich schaue prüfend an ihr herunter. Eigentlich sieht sie unscheinbar aus. Markenjeans, Kapuzenshirt und hüftlange Lederjacke, die sie verkehrtherum anhat.
»Leer mal deine Jackentaschen aus. Und die deiner Jeans. Vielleicht finden sich ja da noch Hinweise. Der Schwanz einer Ratte zum Beispiel.« – »Ganz bestimmt nicht.« – »Woher willst du das wissen? Du kennst dich doch gar nicht.«
Sie schweigt und wühlt hektisch in ihren Jackentaschen. Als Erstes holt sie einen Fünf-Euro-Schein und einen Kassenzettel heraus. Ich reiße ihn ihr neugierig weg. »H&M, gestern gekauft. Miederwaren. Wo sind die?« – »Miederwaren?« – »Ja, BH und so was alles. Strapse, was weiß ich, was für Vorlieben du hast. Gib noch mal her, da muss doch die Filiale draufstehen. Hier. Gesundbrunnencenter, 19.53 Uhr. Kurz vor Ladenschluss im Wedding gekauft. Gesundbrunnencenter. Sagt dir das was?« Sie schüttelt den Kopf.
»Und sonst, was ist in der anderen Tasche?« Sie zieht einen Stift, ein gebrauchtes Taschentuch und ein paar Zettel heraus. Aus der rechten Hosentasche einen Schlüsselbund. Es hängen vier Schlüssel daran, ein Briefkastenschlüssel, ein Fahrradschlüssel, ein Sicherheitsschlüssel und ein Berliner Steckschlüssel.
»Interessant ist der Steckschlüssel. Die dazugehörigen Schlösser gibt es nur in Westberlin und eigentlich auch nur in einem der Gründerzeitviertel. Da haben wir zur Auswahl: Wedding, Neukölln, Kreuzberg, Charlottenburg, Schöneberg, Tiergarten, vielleicht noch Wilmersdorf. Aber warum soll eine, die in Wilmersdorf wohnt, im Gesundbrunnencenter einkaufen?« – »Vielleicht, weil ich dort arbeite?« – »Bist du dir sicher?« – »Nein.« – »Und was haben
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