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Walpurgistag

Walpurgistag

Titel: Walpurgistag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annett Groeschner
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leblosen Person.« – »Vielleicht hat man sie mit Elektroschocks behandelt.« – »Dann hätte sie eine Störung in der Wiedererinnerung, aber die Gedächtnisinhalte wären nicht gelöscht. Die durch diese Art ausgelöste Amnesie kann Monate und Jahre umfassen. Der Erinnerungsverlust kann total sein, aber es ist durchaus möglich, dass ihr im Laufe des Tages wieder einfällt, wer sie ist.« – »Und was willst du jetzt mit ihr machen? Sie zur Polizei bringen?« – »Bin ich verrückt? Die arme Frau der Polizei ausliefern? Vielleicht hat sie einen umgebracht, der es verdient hat zu sterben. So eine verpfeif ich doch nicht. Ich werde sie beobachten und ein bisschen stabilisieren.« – »Hast du schon mal an ihren Sachen gerochen?« – »Warum sollte ich das tun?« – »Um herauszukriegen, wo sie herkommt. Sie könnte ja zum Beispiel Tierzüchterin sein oder Bademeisterin. So was riecht man doch.« – »Ich denk nicht dran«, sagt Alex, »ich bin mehr für die feineren Recherchemethoden.«
     
    Ich nehme Helgas T-Shirt vom Stuhl und halte es mir unter die Nase. »Feuchte Erde und Kneipe«, sage ich, »ein leichter Hauch Schweiß. Vielleicht Angstschweiß.«
    Im selben Moment kommt Helga barfuß aus dem Bad und hinterlässt nasse Tapsen auf dem Fußboden. Sie trägt meinen Bademantel, den ich mit vierzehn von meinem Vater geschenkt bekommen habe. Wahrscheinlich wird Alex sie gleich fragen, ob sie hier wohnen will. »Ist dir im Wasser was eingefallen?«, sagt er stattdessen, aber Helga schüttelt nur den Kopf. Sie hat Blutergüsse an den Knien und eine dicke Lippe. An beiden großen Zehen sind Hühneraugen. »Was ist mit deiner Lippe passiert?«, frage ich. Helga zuckt die Schultern.
    Täusche ich mich, oder guckt sie misstrauisch? Vielleicht spielt sie uns ihre Amnesie nur vor, und in Wirklichkeit ist sie Kriminalkommissarin und uns auf der Spur, und Alex hat sich das erste Mal in seinem Leben aufs Glatteis führen lassen. »Ich würde Ihnen ja gerne etwas Heißes anbieten, aber ich habe die Töpfe noch nicht ausgepackt«, sage ich. »Mach dir mal keine Gedanken, wir sind gleich wieder weg.« Alex scheint für sie mitzuentscheiden.
Obwohl es mir recht ist, wenn sie wieder abhauen. »Wir fahren in Richtung Alexanderplatz und sehn mal, was dabei rauskommt.« Helga starrt ihn an und nickt ganz langsam. Die muss wohl wirklich einen Hieb abgekriegt haben.
    »Quatsch, bin ich blöd«, sage ich, »ich habe doch die Kaffeemaschine eingepackt.« Ich finde auf Anhieb den richtigen Karton und stelle die Maschine an den gleichen Platz, an dem Vater seine vor fünfundzwanzig Jahren in der Küche unserer Wohnung aufgestellt hatte. Aber eigentlich ist auch kein anderer möglich, denn es gibt nur zwei Steckdosen, von denen eine für den Kühlschrank ist.
    »Diese Küchen erzwingen die immergleichen Handgriffe, weil alles bis ins Kleinste genormt wurde und selbst die Höhe der Spüle an die Durchschnittsgröße der Frau angepasst war«, sage ich zu Helga, aber die hört gar nicht zu. »Vielleicht haben deswegen so wenige Männer beim Abwasch geholfen.«
    Keine Ahnung, was aus Vaters Sachen geworden ist, als er verschwand, oder ob die Wohnung nicht sogar noch an ihn vermietet ist, weil genug Geld auf Vaters Konto war. Es gab niemanden, der die Wohnung kündigen konnte. Vater gilt immer noch als vermisst und nicht als tot. Und das Eigentum ist heilig in diesem Staat, auch wenn es nur ein verkalkter Kaffeeautomat ist.
    Helga schaut lange auf die Kaffeemaschine. »Die hat mal Erich Honecker gehört«, gebe ich an. Ich weiß gar nicht, ob ihr der Name ein Begriff ist. Genauso gut hätte ich wahrscheinlich Adolf Hitler sagen können. »Hab ich aus seinem Bunker abgestaubt. So eine Nullachtfuffzehn-Maschine. Aber nicht jeder hatte eine in Orange. Die meines Vaters zum Beispiel war weiß.« – »Viola«, sagt Helga wie zu sich selbst. »Wer?«, fragt Alex.
    »Viola hatte einen Freund mit so einer Karfeemaschine.« – » Wer ist Viola?«, fragt Alex sehr langsam, als rede er mit einer Taubstummen. Aber Helga sagt nur noch: »Mocca Fix«, und dann nichts mehr, und ich meine: »Das hört sich nach einer Ostsozialisation an.«

9.25 Uhr
Heike Trepte macht im Badezimmer ihrer Wohnung in der Ackerstraße einen Test
    Heike Trepte läuft im Badezimmer auf und ab, den Beipackzettel vor der Nase, denn sie hat ihre Brille nicht auf. »Es empfiehlt sich, den über Nacht in der Blase angesammelten Morgenurin in einem Behälter aufzufangen. Er ist

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