Walpurgistag
konzentrierter und enthält größere Mengen HCG.« Die Abkürzung, so wird weiter unten erklärt, bedeute Human Chorionic Gonadotropin. Solche Wörter mag sie gerne, weil sie emotionslos sind. Am liebsten wäre ihr allerdings, sie hätte diesen Begriff nicht in ihrem Körper.
»Sie müssen lediglich den Test in den Urin halten. Verfärbt sich der Streifen im Ergebnisfenster, sind Sie höchstwahrscheinlich schwanger.« Na, das wollen wir mal nicht hoffen, denkt Heike Trepte.
»Falls der Schwangerschaftstest ein positives Ergebnis nachweist, sollten Sie sich die Diagnose vom Arzt bestätigen lassen. Er wird Blut oder Urin untersuchen und eine Ultraschall-Untersuchung durchführen. Eventuell erstellt er auch schon einen Terminplan für Ihre nächsten Schwangerschafts-Vorsorge-Untersuchungen. « Und wenn man gar nicht schwanger sein will? Was geht den Hersteller der Ausgang der Geschichte an? Da könnt ick mir schon wieda uffrejen, sagt Heike Trepte, wie immer, wenn sie etwas ärgert, im Lichtenberger Dialekt der schlimmsten Sorte.
Gestern hat sie auf dem Nachhauseweg diesen Test in einer Neuköllner Apotheke gekauft. Die Apotheke neben der Ackerhalle in der Invalidenstraße schien ihr nicht sicher genug. In dieser Gegend kennen sie zu viele, da war die Gefahr groß, dass jemand Bekanntes zur Tür reinspazierte und Stielaugen kriegte.
Zu Hause angekommen, hat sie die Packung nach längerem Abwägen unter der Schmutzwäsche versteckt, da würde Micha
ganz sicher nicht drangehen. Der lässt immer alles da liegen, wo er es auszieht. Der weiß gar nicht, wie der Schmutzwäschebehälter von innen aussieht. Und Klara auch nicht.
Wie jeden Dienstag hat sie auch heute vier Freistunden, Zeit genug, um in Ruhe das Problem anzugehen, das sich durch das Ausbleiben der Tage manifestiert hat.
Sie hat sich für Hilary direkt entschieden, weil der Name nicht ganz so scheußlich klingt wie Femtest, was Heike Trepte an Fememord erinnert oder, noch schrecklicher, an ganz üblen Mutterkult. Eine Frau wird erst Frau durch die Mutterschaft, vorher ist sie ein Nichts, eine leere Hülle.
Heike Trepte hat zwar noch nie so einen Test gemacht, aber in unzähligen Kino- oder Fernsehfilmen Frauen zwischen fünf zehn und fünfundvierzig dabei zugesehen, wie sie auf einen weißen Stab starren. Hilary direkt ist wider Erwarten kein fieberthermometerartiger Stab, sondern ein Testheftchen, das, so sagt die Gebrauchsanweisung, erst auseinandergefaltet werden muss. Innen befindet sich das Ergebnisfenster. Aha, denkt Heike Trepte, wenn darin zwei Linien zu sehen sind, bin ich schwanger. Aus dem Test ragt ein zwei Zentimeter langer und wenige Millimeter breiter Stoffstreifen. Heike Trepte entscheidet sich, da draufzupinkeln. Das scheint ihr weniger passiv zu sein als der in der Gebrauchsanweisung gegebene Rat, den Stoffstreifen in Urin zu tauchen.
Den Test legt sie mit dem Ergebnisfenster nach oben auf die Waschmaschine. Fünf Minuten, denkt sie, fünf Minuten, die über meine unmittelbare Zukunft entscheiden. Denn wenn sie schwanger ist, dann sicher nicht von Micha, mit dem hat sie nämlich schon mehr als drei Monate nicht geschlafen.
Nach gefühlten fünf Minuten überprüft Heike Trepte das Ergebnisfenster. Ergebnisfenster, was für ein blödes Wort. Tritratrallala, Kasperle ist wieder da. Das Ergebnisfenster schweigt.
Vor dreizehn Jahren, bei ihrer ersten Schwangerschaft, war alles viel komplizierter. Damals hieß Schwangerschaftstest noch, in der Poliklinik in einen Becher zu pinkeln. Oder hat sie Blut abgegeben? Sie weiß es gar nicht mehr. Sie hat drei Tage lang
auf das Ergebnis warten müssen, und als sie in der Poliklinik anrief, sagte ihr eine mürrische Schwester, am Telefon könne sie keine Auskunft erteilen, da könne ja jede anrufen. Als sie Stunden später auf dem Flur der gynäkologischen Abteilung das Ergebnis erfuhr, sprang sie in die Luft und dachte im Fliegen, hoffentlich schadet das dem Kind nicht. Die Schwangerschaft würde es ihr erlauben, legal aus dem Land zu kommen, in dem sie nicht mehr leben wollte und das sie nicht freiließ. Denn der Erzeuger des in ihr wachsenden Wesens wohnte in Westberlin, sie hingegen hinter der Mauer in Ostberlin. Sie hatte Michael in dem Klub Ackerstraße Ecke Torstraße, die damals noch Wilhelm-Pieck-Straße hieß, beim Tanzen kennengelernt. Heike Trepte war keine große Partygängerin, aber sie hatte damals, 1988, beschlossen, einen Westmann zu heiraten, am besten einen aus Westberlin, nicht
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