Walpurgistag
internationalen Finanzkapital nicht verbieten.« Der Sohn trägt die Uniform einer Sicherheitsfirma. Er legt ein paar fettarme Produkte in den Einkaufswagen und kehrt zu seinem Vater zurück, der erneut versucht, ein Schinkenpäckchen zu erhaschen. »Hast du die Flaschen weggebracht?«, herrscht der Alte ihn plötzlich an. »Ja, Vater, selbstverständlich.«
Katrin Manzke versucht, noch vor ihnen an der Kasse zu sein. Sie kramt in der Hosentasche nach dem Geld. Dabei fällt ihr der Zettel mit der Wartenummer 127 auf den Fußboden und segelt unter das Zigarettenregal.
9.17 Uhr
Annja Kobe macht zum zweiten Mal in ihrem Leben die Bekanntschaft mit W’HH GT 18
» WHH GT 18, wie angenehm vertraut«, sagt Alex und sinkt erschöpft auf die Matratzen, die ich unter dem Fenster aufgeschichtet habe, um im Liegen über die Ringbahngleise in Richtung Fernsehturm blicken zu können. »Alles ist an seinem Platz«, sagt Alex und hört sich an wie ein Märchenonkel, »selbst wenn ich blind war, wüsste ich noch, wie ich ins Bad komme.« – »Ja, weil da eine Frau in der Badewanne plätschert.«
Alex hat diese Tussi vom Alexanderplatz mitgebracht, die ich Helga getauft habe. Sie hat noch kein Wort gesagt, und ich würde ihr auch keines glauben. Aber Alex scharwenzelt dermaßen um sie herum, dass ich vorhin dachte, sie werden wahrscheinlich im Laufe des Jahres eine Familie gründen. Mir soll’s egal sein, obwohl es mir ganz lieb wäre, wenn Alex gleich mit in die Wanne stiege. Er stinkt, aber vielleicht fällt es mir hier nur mehr auf als im Bunker, weil die Luft hoch über der Stadt frischer ist.
»Du sprichst in Rätseln. Was meinst du mit WHH GT?«, frage ich ihn und ahne schon, dass es eine dieser sinnlosen DDR-Technikabkürzungen ist, die keiner je gebraucht hat, die aber in seinem Gehirn überdauert haben wie sämtliche Texte der DDR-Rockmusik. Zeug wie: »Tritt ein in den Dom, die Größe des Menschen zu ehren, da, da, da, da, uahh.«
»Wohnhochhaus in Großtafelkonstruktion«, prahlt Alex. Dachte ich es mir doch. »Großtafelkonstruktion klingt irgendwie nach überlagerter Schokolade«, sage ich absichtlich boshaft. »Einhundertsechsunddreißig Wohneinheiten im Großplattenbau«, doziert Alex, »davon dürften aber höchstens noch vierzig vermietet sein.« – »Warum eigentlich? Sieht doch noch ganz solide aus,
das Häuschen. Ich habe schon schlechter gewohnt. Wenn ich an meine erste Berliner Wohnung denke, wo der Fußboden in der Toilette durchgefault war ... Zugegeben, die Fassade könnte ein bisschen Farbe gebrauchen, aber das sieht man ja innen nicht.« – »Das Haus wird in ein paar Monaten abgerissen. Der Wohnungsbaugesellschaft sind die vielen leeren Wohnungen zu teuer, also wird der Bestand reduziert. Ich konnte einen bis zum Abriss befristeten Mietvertrag übernehmen.« – »Zurück zu den Wurzeln. Ich habe auch schon mal in einem Hochhaus gewohnt, gleicher Typ übrigens, allerdings Blick nach Osten.« – »Bei mir war’s nicht das gleiche, sondern dasselbe«, sagt Alex, »tausend Jahre her, Erstbezug. « – »Aber sag jetzt nicht, dass es dieselbe Wohnung war, sonst müssen wir noch nach der alten Tapete kratzen.« – »Ich hab’s vergessen. Die Aussicht war aber die gleiche. Glück hatte, wer nach Westen kieken durfte«, sagt Alex und schaut in den Westen. »Oder Beziehungen«, sage ich, »und wer nach Osten schaute, war ganz sicher bei der Stasi. Von hier oben konnte man doch die Autos auf dem Hof der Zentrale zählen.«
Alex schweigt.
»Ich glaub dir nicht, dass du die Etage vergessen hast. Wenn man jeden Tag auf denselben Knopf im Fahrstuhl drückt, merkt man sich die Zahl. Du willst nur nicht zugeben, dass wir in derselben Wohnung hausen wie du in besseren Tagen. Naja, der Mörder kehrt auch wieder an den Ort der Tat zurück. Ich schätze, dass auch der Name ein anderer war, der an der Tür stand. Lass mich raten, dein Vorname war Eberhard. Eberhard Klein. Oder Groß. Egal.« Vielleicht sollte ich meine schlechte Laune nicht zu weit treiben. Alex hat es ja nur gut gemeint mit dem Dach über dem Kopf. Und er hat ja recht. Er ist Experte im Spuren-Verwischen und Falsche-Fährten-Legen.
Alex schweigt weiter und schaut auf seine Schuhe, von denen sich die Sohlen lösen.
»Apropos Tatort. Haben wir eigentlich auch einen Abstellraum?«, frage ich. »Müsste dabei sein. Willst du deinen Vater dorthin abschieben?« – ? »Vielleicht finden wir ja deine Ex, vertrocknet?«
Vater steht noch im
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