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Walpurgistag

Walpurgistag

Titel: Walpurgistag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annett Groeschner
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Hausflur, weil Liebig, mit dem ich die Truhe über die Schwelle bewegen wollte, heute Morgen, nachdem er zusammen mit Aki ein paar Möbel in den Hausflur gestellt hatte, abgehauen ist, angeblich, weil er es keine Minute länger in Lichtenberg aushalten konnte. Er hat aber versprochen, mich eine halbe Stunde vor Beginn der Trauerfeier abzuholen. Damit ich es mir nicht noch anders überlege und mich drücke. Aki liegt in einem der Zimmer und schläft, eingerollt wie ein Baby. Dem ist es egal, worauf er sein Haupt bettet, der hat das Herumziehen in den Genen. Nur trocken muss es sein und nicht zu windig, damit er keinen Zug kriegt, dann spürt er ein Reißen in den Knochen. Er hat zuletzt alles alleine hochgetragen, weil er der Meinung ist, dass Frauen nicht schwer heben sollten. Nicht mal die Stehlampe durfte ich anfassen.
    Während unseres Umzugs ist uns im Haus kein Mensch begegnet.
    Ich streiche über die Fensterrahmen. Der Kitt ist alt und brüchig. Überall sind Ritzen, durch die es zieht. »Ah, die alten Gummilippendichtungen«, sagt Alex fast liebevoll. »Die nie dicht waren«, sage ich, »die ganze DDR war ein einziger Pfusch.«
    Alex springt auf, und kurz heben sich seine Füße aus den Schuhen und geben den Geruch von Fußschweiß frei. »Geh duschen«, sage ich, »du stänkerst mir die ganze Bude voll.« – »Kaum hat Madame vier ordentliche Wände, wird sie gesetzt. Wenn dich die Polizei nicht suchen würde, wärst du wahrscheinlich so eine richtige Spießerin.« Ich kann mir denken, warum Alex plötzlich so gereizt ist. »Ja, mit drei kleinen Kindern und einem Mann, der in irgendeinem Ministerium oder an der Uni arbeitet. Jetzt wohnen wir im Prenzlauer Berg, aber bald werden wir in ein Reihenhaus ziehen. Damit die Kinder auch mal im Garten spielen können.« – »Ist das jetzt blühende Phantasie oder Sehnsucht?«, fragt Alex. »Blühende Phantasie und Sehnsucht. Aber nicht nach dem Mann im Ministerium, sondern nach einer gewissen Normalität.« – »Hör ich da die biologische Uhr ticken?« – »Hör nur, was du willst. Ich hab schon drei Kinder, die heißen Alex, Aki und Liebig.«

    Wir pressen unsere Stirnen an das kalte Glas. »Freust du dich nicht über das Licht?«, fragt Alex. »Ich glaub, ich brauche erst mal dunkle Vorhänge, das ist mir eindeutig zu hell hier.« – »Dir kann man aber auch gar nichts recht machen«, sagt Alex. Er tut mir schon wieder leid. »Hast doch gerade eine aufgelesen, die deine Hilfe braucht.« – ? » Warum fragst du mich eigentlich nicht, wer die Frau ist?« – » Was geht’s mich an, mit wem du deine Nächte verbringst. Aber komisch ist sie schon, das wirst du wohl zugeben. Versteht sie überhaupt Deutsch?« – »Doch, wir haben schon geredet. Kein bisschen Akzent, ein leichter Anflug von Berliner Dialekt.« – » Was hat sie dann?« – »Eine Amnesie. Ich versuche gerade herauszubekommen, welche.« – » Wieso? Kennst du dich damit aus?« – »Hab mal darüber gearbeitet.« Ich verkneife mir eine Bemerkung. »Und, was ist es für eine Sorte Vergessen?« – »Möglich ist eine retrograde Amnesie«, sagt Alex, »man erinnert sich dann nicht mehr an alles, was vor dem Ereignis war. Ein gezielter Schlag auf den Kopf reicht da aus.« – »Wenn sie nicht mal mehr ihren Namen weiß, muss es wohl ein sehr heftiger Schlag gewesen sein.« – »Auch Drogen können der Auslöser gewesen sein.« – »Was für Drogen?« – »Benzodiazepin zum Beispiel. Man muss das aber spritzen. Hat die CIA früher benutzt.« Ich pfeife durch die Zähne. »Du wirst mir ja wohl nicht weismachen wollen, dass so eine wie Helga von der CIA fertiggemacht werden soll?« – »Möglich ist alles.« – »Bist wohl deinen Feind immer noch nicht los. Ich tippe auf was ganz anderes. Man müsste herauskriegen, ob sie vergewaltigt worden ist. Es gibt doch diese Modedroge, die heimlich in die Cocktails gemischt wird, damit sich die Frauen später nicht mehr erinnern können, dass sie abgeschleppt und vergewaltigt wurden.« – »Du meinst Rohypnol«, sagt Alex, »aber das verursacht eine andere Amnesie, die erst nach Einnahme des Mittels eintritt. Du kannst dich an das Danach nicht mehr erinnern, aber deine Kindheit ist durchaus noch präsent. Die hier weiß gar nichts mehr von ihrem Leben. Außerdem war ihre Kleidung völlig intakt, als sie von den Männern angeschleppt wurde.« – ? »Vielleicht ist sie wieder angezogen worden.« – »Glaub ich nicht, das macht zu
viel Mühe bei einer

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