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Walpurgistag

Walpurgistag

Titel: Walpurgistag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annett Groeschner
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mal Klatschbörsen, da zieht schnell mal ein Gerücht große konzentrische Kreise und will nicht mehr aus der Welt. Aber ich bin heute zu unternehmungslustig, um gleich wieder in meiner neuen Höhle zu verschwinden.
    Zwei Leuten, die mich gefragt haben, wie ich zu dem Toten gestanden hätte, habe ich gesagt, dass ich eine Ex sei, genauer gesagt, eine Ex aus dem Iskra-Klub, jenem legendären Klub im Haus der Jungen Talente, dem Blix Anfang der Siebziger vorstand. Ich sei damals eine streng geheim gehaltene Geliebte gewesen, denn Blix sei bekanntlich zu der Zeit verheiratet gewesen. Und deswegen sei ich dann auch nicht mehr hingegangen, um keinen Verdacht zu erregen, auch wegen der vielen Stasileute, die da gespitzelt hätten.

    In Wirklichkeit war der Iskra-Klub schon aufgelöst, als ich noch Jungpionier war, aber was soll’s. Ich kippe einen der Schnäpse hinunter und merke, wie meine Perücke bei der abrupten Bewegung verrutscht. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie der Typ am Tresen mich beobachtet.
    Ich habe Alex, Aki und Liebig angedroht, sie wären tot, wenn sie den Namen Annja auch nur flüsterten. Also tun Alex und Aki so, als würden sie mir, der Ex, zum ersten Mal begegnen, nur Liebig, den wohl sein eigenes Schachspiel langweilt, ruft quer durch den Raum: »Sach ma, du da mit den knalligen Haaren, bist du nicht Danielle aus dem Iskra-Klub, die unsern alten Blix auf der Mädchentoilette verführt hat?« (Mir bleibt nichts anderes übrig, als zu nicken, weil alle mich anstarren. Liebig, du Ratte.) »Du siehst toll aus, zehn Jahre jünger, als du sein müsstest.« (Ich würde Liebig gerne durch einen imaginären Fleischwolf drehen.) » Was macht dein Vater? War der nicht im Zentralkomitee?« – »Nee«, sag ich, »der war Liedermacher, aber ein erfolgloser. Ist ’61 durch die Kanalisation abgehauen. Lebt in Westberlin und trinkt.« Dann erstirbt das Gespräch, und die Blicke der anderen wenden sich wieder dem Tisch zu, auf dem neben Wodkagläsern drei Tabletts mit Schmalzstullen und Senfgurken stehen. »Wir Inder haben ein besonderes Verhältnis zu Frauen«, sagt Aki und schaut einer Norwegerin tief in die Augen. »Ich auch«, sagt die, aber Aki versteht das nicht und versucht noch einen Moment lang, allen Charme spielen zu lassen, ehe er es aufgibt. Heute Abend wird er mir wieder vorheulen, wie kalt Frauen, und vor allem die deutschen, sind.
    »Lasst uns Flaschendrehen spielen, aber die pietätvolle Variante«, sagt eine der Italienerinnen, die aus irgendeinem unerfindlichen Grund den Torpedokäfer zu ihrer Lieblingskneipe erkoren haben, dabei gibt es doch hier weder Nudeln noch Pizza, sondern nur Pelmeni mit Smetana, und die Männer sind auch eher dem Trunke zugeneigt, als dass sie Alphatierchen wären, die eine Familie gründen wollen. Das haben sie alle längst hinter sich, und immer ging’s schief. Die Schnapsflasche auf dem Tisch wird zügig geleert und in die Mitte gelegt. » Was ist denn die
pietätvolle Variante?«, frage ich. »Auf wen die Flasche zeigt, der muss eine besonders gruselige Geschichte erzählen, in der der Tod vorkommt.«
    Ich möchte mich dem Spiel so schnell wie möglich entziehen, um mir auf der Toilette die Perücke festzustecken, ehe sie mir vom Kopf fällt. Aber bevor ich aufstehen kann, zeigt der Flaschenhals auf meine Person. »Eine Geschichte von Ex-Danielle!«, schreien die Italienerinnen und wissen gar nicht, dass sie noch eine andere Wahrheit aussprechen. Die Norwegerin schaut mich sanft an: »Ganz, ganz gruselig bitte.« Sie hat eine schöne rauchige Stimme. »Es war einmal ein Thunfischtrawler«, hebe ich an und ärgere mich, dass ich Vaters Geschichten erzähle, und ich ahne, dass das nicht ganz ungefährlich ist, »der befand sich schon seit Wochen auf hoher See. Er sammelte die Fische in seinen Schleppnetzen, die dann sofort auf dem Schiff in einer Filetiermaschine verarbeitet wurden. Pro Fisch durften nach internationalem Abkommen nur drei kleine Gräten enthalten sein.« – »Komm, mach’s nicht so spannend«, ruft eine der Italienerinnen. »Eines Tages aber«, fahre ich fort, »stürzte ein philippinischer Fischer in die Filetiermaschine und wurde in lauter Einzelteile zerlegt.« – »Bähh«, rufen die Italienerinnen im Chor. »Seine Kollegen verpackten seine Leichenteile in Plastefolie und lagerten sie in der Kühlzelle zwischen Thunfischfilets. Dann fuhren sie mit ihrer Arbeit fort. Als sie drei Wochen später den nächsten Hafen ansteuerten, überreichten sie

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