Walter Ulbricht (German Edition)
Moskau Exil in Chile seit 1992.
D u kommst aus einem kommunistischen Elternhaus in Halle. Hast du dort, vor 1945, etwas von Ulbricht gehört?
Thälmann war der erste Name eines Arbeiterführers, der sich mir als Kind fest einprägte. Von Ulbricht hörte ich erst später. Nachdem mein Vater 1939 aus Buchenwald zurückgekehrt war, nahm er die illegale Arbeit wieder auf. Bei Zusammenkünften, an denen ich als einer der jungen Mithelfer teilnahm, redeten die Genossen über Sendungen von Radio Moskau , in denen Pieck, Ulbricht und andere gesprochen hatten.
Als ich 1945 mit der aktiven politischen Arbeit begann, hörte ich von der »Gruppe Ulbricht«, die aus Moskau gekommen war, um mit dem Aufbau eines friedlichen, demokratischen Deutschlands zu beginnen. Walter Ulbricht sah ich alsbald auf Kundgebungen, oft auch auf Beratungen in der Zeit der Volkskongressbewegung 1 . Sehr nah erlebte ich ihn vor allem auf den Sitzungen des Zentralkomitees, die von Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl geleitet wurden. Ich war 1950 Kandidat des ZK geworden. Meldete sich Walter zu Wort, war nicht nur ich ganz Ohr, weil er immer sehr konkret auf die nächsten Aufgaben orientierte, sehr klar und überzeugend argumentierte.
Du bist 1945 Mitglied in die KPD eingetreten. Von den etwa 300.000 Mitgliedern im Jahre 1933 hatten nur wenig mehr als die Hälfte die faschistische Diktatur, Krieg und Emigration überlebt. Dass das Nichtzustandekommen einer antifaschistischen Abwehrfront und der Bruderkrieg von Sozialdemokraten und Kommunisten den Nazis maßgeblich geholfen hatte, war bereits auf der »Brüsseler Parteikonferenz« 1935 selbstkritisch festgestellt worden. Mancher Genosse machte für dieses Versagen ausschließlich die SPD verantwortlich, was natürlich sektiererisch war: Die Linie lautete »Aus den Fehlern der Vergangenheit lernen, Beendigung des Bruderzwistes und Herstellung einer gemeinsamen Partei«. Wie hast du damals diese Auseinandersetzungen erlebt?
Tatsache ist nun mal: Die KPD hatte im Kampf für die Interessen des deutschen Volkes am meisten von allen Parteien geblutet. Rudi Jäger, der Leiter des illegalen Gebietskomitees Halle-Merseburg (später war er FDGB-Vorsitzender von Sachsen-Anhalt), erinnerte sich, dass nach den Verhaftungen 1934 in einer zweiten Verhaftungswelle im Jahr darauf allein in unserem Territorium 240 Funktionäre und 800 Mitglieder der Partei eingesperrt worden waren. Das war bitter. Aber noch bitterer war, dass jetzt, nach dem Krieg, Menschen neben uns erklärten: Wir haben das alles nicht gewusst! Über tausend Menschen waren plötzlich verschwunden. Oder später, als die Juden deportiert wurden. Das wollte man nicht bemerkt haben? Da musstem wir kräftig schlucken, um ruhig und sachlich zu bleiben.
Mein Vater war ein entschiedener Verfechter der Vereinigung von KPD und SPD. Dennoch konnte auch er sich manchmal bittere, kritische Worte über Genossen der SPD nicht verkneifen.
Ich selbst kam bisweilen von Jugendversammlungen ziemlich niedergeschlagen und verzagt nach Hause. Es war mitunter deprimierend zu hören und zu sehen, wie Jugendliche, die so alt waren wie ich oder jünger, in ihrem Denken der Nazizeit verhaftet waren. Wir versuchten ihnen klarzumachen, dass der Sieg über Hitlerdeutschland keine persönliche Niederlage, nicht das Ende der deutschen Geschichte, sondern die Chance für ein neues Leben, für eine neue gesellschaftliche Ordnung darstellte.
Walter Ulbricht, der dies sehr deutlich wahrnahm, ermutigte uns Jugendfunktionäre, nicht zu verzagen, keine Mühe zu scheuen, um alle Jugendlichen zu gewinnen, indem wir sie einbeziehen, ihnen Verantwortung übertragen. Einen anderen Weg gebe es nicht. Ohne Mitwirkung aller Jugendlichen wäre es nicht möglich, ein neues Deutschland zu schaffen. Pieck, Grotewohl und Ulbricht wiederholten ständig, dass die deutsche Jugend nicht verantwortlich sei für die Verbrechen des Faschismus, sie sei nicht mitschuldig. Sie könne unbelastet für ihre eigene Zukunft kämpfen. Und die läge in einem einheitlichen, antifaschistisch-demokratischen Deutschland.
Walter Ulbricht war nach dem Krieg einige Male in Halle. Kannst du dich daran noch erinnern?
Natürlich. An eine der Kundgebungen auf dem Hallmarkt kann ich mich besonders erinnern, das muss vor den Landtagswahlen im Oktober 1946 gewesen sein. Bernard Koenen 2 , gebürtiger Hamburger, der in den Reihen der KPD an vielen Kämpfen der Arbeiterklasse in Mitteldeutschland teilgenommen hatte, sprach zu uns,
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