Walter Ulbricht (German Edition)
Parteikonferenz 9 auch die Frage diskutiert wurde, ob eine achtjährige Schulbildung den gesellschaftlichen Anforderungen in Richtung Sozialismus genüge. Es begann eine breite Diskussion.
Als nach den Ereignissen von 1953 Fehler und Überspitzungen korrigiert wurden, traten auch, sagen wir ruhig: revisionistische Auffassungen ans Tageslicht. Sie reichten von Forderungen nach Abschaffung des Russisch-Unterrichts bis zur generellen Infragestellung einer zehnklassigen Schulausbildung. Auf der 3. Parteikonferenz 1956, insbesondere aber auf dem V. Parteitag 1958 erfolgte eine Auseinandersetzung mit derartigen Auffassungen. Diese machte den Weg frei für die weitere gesellschaftliche Entwicklung. In der Schulpolitik ging es nun kontinuierlich zum Aufbau der zehnklassigen Schule mit polytechnischer Ausrichtung.
Auf dem V. Parteitag hatte Walter Ulbricht erklärt, dass die Einführung des polytechnischen Unterrichts eine Kernfrage bei der Entwicklung einer neuen sozialistischen Schule sei. Das war eine wichtige strategische Orientierung. Sie wurde mit Fachleuten und mit Eltern diskutiert, Kommissionen berieten und werteten praktische Erfahrungen aus, internationale Entwicklungen wurden studiert. All das floss schließlich in ein demokratisches Gesetzgebungsverfahren ein.
Wenn ich mit Walter Ulbricht zusammentraf, zeigte er sich stets am Thema interessiert und ließ sich über den Fortgang der Arbeiten informieren, er stellte Fragen und erteilte Ratschläge. Zu jener Zeit gab es kaum noch Stimmen, die eine einheitliche zehnklassige Schulausbildung für falsch hielten oder die die Vorschulerziehung für alle Kinder ablehnten. Im Mittelpunkt der Diskussion standen inzwischen pädagogische und nicht zuletzt ökonomische Fragen. Denn Bildung kostet Geld, es ist eine Investition, die sich erst sehr viel später »rechnet«.
Walter Ulbricht stellte zwei Jahre nach Annahme unseres Gesetzes auf dem VII. Parteitag 1967 heraus, dass die demokratische Erarbeitung des Gesetzes über das einheitliche sozialistische Bildungswesen und das Gesetz selbst eine herausragende Bedeutung für die Gestaltung des gesellschaftlichen Systems des Sozialismus besäßen. Das Gesetz erfasste alle Bereiche – von der Vorschulerziehung bis zur Hochschule – und eröffnete unterschiedslos allen Kindern die gleichen Möglichkeiten und Chancen. Es orientierte auf eine hohe Allgemeinbildung, eine solide, breite Grundlagenbildung und auf die Entwicklung selbständigen, schöpferischen Denkens. Kurz: Dieses Gesetz von 1965 bestimmte das Profil eines neuen modernen Schultyps.
Kannst du dich an Begebenheiten erinnern, bei denen Ulbricht auch privates Interesse an diesem Thema zeigte? Immerhin: Ulbrichts hatten schließlich eine Adoptivtochter 10 im Schulalter?
1959 hatten wir mit der Einführung eines Unterrichts in der Produktion (UTP) begonnen. Schülerinnen und Schüler wurden auf diese Weise mit der Sphäre der Produktion bekanntgemacht. Facharbeiter, Meister, Lehrausbilder und Genossenschaftsbauern vermittelten Kenntnisse und Lebenseinstellungen. Erich und ich waren mit unserer Tochter an einem Sonntagnachmittag zum Kaffee bei Ulbrichts. Walter erkundigte sich bei Sonja, wie das denn so mit dem polytechnischen Unterricht an ihrer Schule laufe, ob ihr der gefalle. Sonja schüttelte den Kopf und klagte, dass das gar kein Unterricht sei, sie müssten in der LPG nur Kartoffeln lesen. Lotte warf ein, dass dies doch auch notwendig wäre, und außerdem würde man bei der Feldarbeit als Städter immer etwas lernen. Walter unterbrach sie – nicht etwa, weil er die Auffassung seiner Frau nicht teilte, sondern weil er, wie er sagte, wissen wolle, wie die Schüler über dieses Fach dächten und ob es angenommen würde.
Es brauchte einige Zeit, bis wir die Voraussetzungen für einen soliden Unterricht auch in diesem Fach geschaffen hatten.
Ulbricht kam wiederholt auf diese Entwicklungsprobleme zu sprechen, so auch auf dem 11. Plenum des Zentralkomitees 1965. Er monierte dort eine gewisse Enge in der Oberschule und in der Berufsausbildung und forderte die Verbesserung des Niveaus der technischen Grundausbildung. Dabei berief er sich auf Marx und Engels, die nachgewiesen hätten, dass die Verbindung von Unterricht mit produktiver Arbeit und Gymnastik für eine allseitige Persönlichkeitsentwicklung nötig sei. Viele progressive Pädagogen hatten sich schon mit dieser Frage befasst.
So entwickelten Schulreformer in Deutschland den Arbeitsschulgedanken, der jedoch
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