Walter Ulbricht (German Edition)
dann trat Ulbricht ans Mikrofon. Er äußerte sich insbesondere zu wirtschaftlichen Fragen, denn in unserer Region waren die großen chemischen Konzern-Betriebe, die wieder in Gang gebracht werden mussten.
Die Mitglieder der Freien Deutschen Jugend kandidierten übrigens bei allen drei Parteien. Ich erinnere mich an manche Wahlversammlung, auf der ich für die Liste der SED und der Jugendsekretär der LDP, Rudolf Agsten 3 , für seine Partei sprach. Wir traten auf Versammlungen mit gemeinsamen Positionen auf, zuweilen aber vertraten wir auch sehr unterschiedliche Standpunkte. Später, gemeinsam Abgeordnete in der Volkskammer, erheiterten wir uns manchmal über unsere damalige »Gegnerschaft« während des Wahlkampfes 1946. In jener Zeit lernte ich übrigens auch Gerald Götting 4 kennen und schätzen. Hans-Dietrich Genscher 5 , der damals ebenfalls bei den Hallenser Liberalen war, habe ich hingegen nicht getroffen.
Der DDR wird vorgeworfen, ihr Antifaschismus sei »verordnet« gewesen. Wer hat dir damals, als du nach dem Krieg in Halle gegen die faschistische Ideologie in den Köpfen gearbeitet hast, dies verordnet?
Niemand. Es entsprach dies meiner Erfahrung und Überzeugung. Es ist eine der infamsten Lügen unserer Gegner zu behaupten, wir seien nicht antifaschistisch gewesen. Wir kennen dieses üble Verdikt Kurt Schumachers 6 von den »rotlackierten Faschisten«, das er im Mai 1946 über die Kommunisten verhängte – ein Jahr nach dem Ende der Nazidiktatur! Mit solchen Parolen sollte verschleiert und vergessen gemacht werden, dass der deutsche Imperialismus den Faschismus gebar. Die herrschende kapitalistische Klasse wollte die Weltherrschaft zur Sicherung von Märkten und Ressourcen, und deshalb brauchte sie eine politische Ordnung, die dies am effektivsten durchsetzen konnte. Die Nazipartei schien dem deutschen Großkapital dafür das wirksamste Instrument. Hitler & Co. zur Macht verholfen zu haben war darum kein Betriebsunfall. Das Kapitel schafft sich immer die besten Produktions- und Verwertungsbedingungen, auch damals. Sein Profithunger verlangte nach Neuordnung Europas und der Welt, und das mit Krieg.
Die Interessen des deutschen Monopolkapitals waren und sind nie identisch mit den Interessen des deutschen Volkes Leider ließ es sich jedoch in seiner Mehrheit manipulieren und verführen. Es folgte den Nazis in die nationale Katastrophe. Und ausgerechnet uns, die nach 1945 aufklärten, die diese Verführung sichtbar machten, die die Verflechtung wirtschaftlicher und politischer Interessen benannten, mehr noch: die wir die Wurzeln von Faschismus und Krieg durch die Enteignung der Kriegsverbrecher beseitigten, die Schuldigen für Faschismus und Krieg bestraften, ausgerechnet uns nun vorzuhalten, wir hätten nicht aus antifaschistischer Überzeugung gehandelt, ist demagogisch und verlogen.
Zur Wahrheit gehört, dass alle Siegermächte, die Alliierten, im Potsdamer Abkommen festlegten, dass Faschismus mit den Wurzeln auszurotten sei, dass alle Voraussetzungen zu schaffen seien, damit Deutschland niemals mehr seine Nachbarn und die Welt bedrohen könne. Diesen Weg hätte ganz Deutschland konsequent gehen müssen.
Wer aus der Geschichte gelernt hatte, zog die richtigen Schlüsse.
Im Übrigen ist bezeichnend, dass im kapitalistischen Deutschland nie von Faschismus, sondern immer von »Nationalsozialismus« geredet und geschrieben wurde und wird. Auch dies ist eine absichtsvolle Verschleierung des gesellschaftlichen Ursprungs und des Klassencharakters dieser kapitalistischen Diktatur.
Die obskure These Schumachers wird immer wieder hervorgekramt und zu stützen versucht, etwa mit jenem Treffen von führenden Funktionären der FDJ und einstigen HJ-Führern im Januar 1951. Es gab dazu in der ARD einen Film (»Braunes Erbe. Der Antifaschismus der DDR«), der am 13. Dezember 2007 gesendet wurde – bezeichnenderweise am »Pioniergeburtstag«.
Ich kann mich an diese Zusammenkunft Anfang 1951 gut erinnern, ich habe sie schließlich im Auftrag des Sekretariats des Zentralrats geleitet. Erich Honecker als Vorsitzender der FDJ traf sich zum Abschluss mit den Teilnehmern.
Man kann es kurz machen: Die Gräben zwischen uns waren tief, aber wir suchten im Dialog gemeinsam nach Wegen, die sich mit der Remilitarisierung Westdeutschlands abzeichnende Entwicklung aufzuhalten. Unser Anliegen, was bei der Darstellung auch dieses Treffens heute stets ausgeblendet wird: das Bemühen, das weitere Auseinanderdriften von West-
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