Walter Ulbricht (German Edition)
ausgebrannte Kühlhallen des Berliner Schlachthofs könnten zu diesem Zweck zusammengeschoben werden. Deren Kühlanlagen funktionierten noch. Das Problem sei das Dach.
Walter Ulbricht hörte sich diese und andere Vorschläge an und gab in Berlin den Auftrag, das Projekt einer Trümmerhalle zu prüfen. Ich erinnere mich nicht mehr aller Details, wohl aber daran, dass der zuständige Stadtrat, weil er sich energisch weigerte, versetzt wurde. Das nahm die Presse im Westen als neuerlichen Beleg für Ulbrichts diktatorischen Stil – aber 1950 wurde diese Halle feierlich eröffnet. Mannschaften aus Weißwasser, Frankenhausen, Crimmitschau und aus Berlin erhielten ihre Trainingszeiten zugeteilt, eine DDR-Meisterschaft wurde ausgetragen, und eines Tages erschien sogar die sowjetische Nationalmannschaft – überwiegend ehemalige Bandyspieler, weil Eishockey dort noch fast unbekannt war –, die sich intensiv auf ihre erste Teilnahme an einer Weltmeisterschaft vorbereitete. Am 22. April 1951 fand in dieser Halle auch das erste Länderspiel gegen die UdSSR statt – und wurde 2:21 verloren.
Vier Monate zuvor war in der Halle die weltweit erste Amateur-Radrennbahn errichtet worden, und in den folgenden Jahren fanden dort nicht nur Parteitage und Kongresse, sondern auch Box-Europameisterschaften und andere internationale Wettkämpfe statt. 1992 wurde die Werner-Seelenbinder-Halle – obwohl noch völlig funktionsfähig – abgerissen, weil sich Berlin um die Olympischen Spiele 2000 bewerben wollte und auf dem Fundament dieser legendären Halle ein Velodrom sowie eine Schwimm- und Sprunghalle errichtet werden sollte.
Ich erinnere an die Ursprünge dieser Sporthalle, eine der wichtigsten Berliner Sportstätten im 20. Jahrhundert, auch deshalb, weil sie dem Umstand geschuldet war, dass Ulbricht sehr genau hinzuhören verstand. Er hatte nicht nur die Klagen der Sportler vernommen, sondern aufmerksam auch ihre Vorschläge notiert.
Walter Ulbricht erklärte in eben jener Halle auf der 2. Parteikonferenz, die Grundlagen für den Sozialismus schaffen zu wollen. In seiner Rede äußerte er sich auch zum Sport. »Das sozialistische Deutschland braucht gesunde, willensstarke, geschulte, zielbewusste Menschen«, sagte er damals, im Juli 1952. »Das Politbüro hat zu der Kritik und den Vorschlägen der Sportler Stellung genommen und hält es für notwendig, dass ein Staatliches Komitee für Sport und Körperkultur mit entsprechenden Organen in den Bezirken und Kreisen geschaffen wird.«
Das Motiv für diese Forderung dürfte bei seinen zahlreichen Besuchen bei Sportveranstaltungen entstanden sein. Der Deutsche Sportausschuss arbeitete zu schwerfällig, geriet oft in ergebnislosen Streit über Belanglosigkeiten und versuchte seine Schwächen durch vermeintliche Erfolge bei der Mitgliedergewinnung zu kaschieren. Walter Ulbricht ließ sich nichts vormachen und hielt eine staatliche Instanz für eine sinnvolle Alternative. Er schickte die Sportführung auf Studienreise in die Sowjetunion.
Wenige Tage nach der Parteikonferenz wurde das Staatliche Komitee gegründet und dazu für den Sport zuständige Instanzen in den Bezirken und Kreisen. Allerdings zeitigte auch dieser Schritt nicht den von ihm erhofften Erfolg. Auf der III. Sportkonferenz 1955 kritisierte Walter Ulbricht unmissverständlich: »Wir sind in der Entwicklung des Massensports weit zurückgeblieben, das muss korrigiert werden.« Mit scharfen Worten rügte er, dass das Staatliche Komitee ausgerechnet die Abteilung Massensport aufgelöst hatte, was einmal mehr die Behauptung widerlegte, Ulbricht sei nur an internationalen Siegen und Medaillen interessiert gewesen.
Aber wie verhält es sich da mit den »Diplomaten im Trainingsanzug«, als die unsere Sportler gern bezeichnet wurden? Diese Formulierung stammt von Lord Burghley, Mitglied des britischen Oberhauses und Präsident der Internationalen Leichtathletikföderation (IAAF). Er hatte zu einem Sportfest in London auch DDR-Athleten einladen lassen, denen aber nach einer Intervention der BRD beim britischen Außenministerium die Einreise verweigert wurde. Burghley sorgte für die Rücknahme dieser Entscheidung und gratulierte dem siegreichen Langstreckler Siegfried Herrmann mit den Worten: »Sie sind ein Diplomat im Trainingsanzug.« Walter Ulbricht zitierte später den britischen Lord.
Es lag auf der Hand, dass DDR-Sportler – und gewiss auch Ulbricht – seit der Gründung der neuen Sportbewegung von einer Teilnahme an
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