Walter Ulbricht (German Edition)
Vorsitz drei Mal – am 4. Oktober 1968, am 20. Januar 1969 und am 3. April 1969 – über die Hochschulreform, beim ersten und dritten Mal tat er dies mit zahlreichen Gästen. Es wurde eine Kommission des Staatsrats eingesetzt, die einen Beschlussentwurf vorbereitete. Der Entwurf wurde zur öffentlichen Diskussion an den Universitäten und Hochschulen und bei deren Partnern gestellt. 2.575 Änderungs- und Ergänzungsvorschläge wurden gezählt. Der Beschluss des Staatsrates der DDR vom 3. April 1969 (»Die Weiterführung der 3. Hochschulreform und die Entwicklung des Hochschulwesens bis 1975«) fasste die Anliegen der Reform zusammen.
Nach dem Wechsel von Ulbricht zu Honecker 1971, also schon nach zwei Jahren, verschwand der Beschluss stillschweigend und unbemerkt aus der hochschulpolitischen Landschaft.
Aus meiner Sicht kann ich nicht sagen, dass hinter der zeitweiligen »Machtübernahme« durch den Staatsrat Meinungsverschiedenheiten im ZK der SED in hochschulpolitischen Fragen steckten. Die maßgeblichen Personen aus dem ZK wirkten als Mitglieder der Kommission des Staatsrats an dieser »Machtübernahme« mit – Kurt Hager als Vorsitzender, Günter Mittag und Johannes Hörnig als Leiter der Abteilung Wissenschaft des ZK. Das Neue Ökonomische System war damals noch nicht abgeblasen. Wohl aber war die Staatsratsepisode der Hochschulreform ein bezeichnender Ausdruck des Machtgerangels zwischen Ulbricht und Honecker. Auf dem VIII. Parteitag erwähnte der neue Erste Sekretär die 3. Hochschulreform nur noch am Rande.
Spätere Reformversuche waren damit aber durchaus nicht am Ende.
Körperkultur
Klaus Huhn
Wie kein anderer Politiker trieb er die Entwicklung des Sports voran
Klaus Huhn, Jahrgang 1928, mit 17 Volontär bei der Deutschen Volkszeitung, 1945 Eintritt in die KPD, von 1946 bis 1990 tätig im Neuen Deutschland , davon die meiste Zeit als dessen Sportchef und Mitglied des Redaktionskollegiums, seit 1954 Organisationschef der Internationalen Friedensfahrt, Gründungsmitglied des DTSB und bis 1989 Mitglied des Bundesvorstandes, 1983 Promotion an der DHfK. Von 1976 bis 1993 war er im Vorstand des Europäischen Sportjournalistenverbandes (UEPS), zuletzt als Vizepräsident und Generalsekretär. Huhn gründete 1990 den spotless-Verlag.
Z um ersten Mal begegnete ich Walter Ulbricht im Sommer 1945. Ich war siebzehn, der radelnde Stadtreporter des KPD-Organs Deutschen Volkszeitung , und er kam mit Wilhelm Pieck irgendwo aus Friedrichsfelde, wo die Zentrale der KPD amtierte und wohl auch logierte, in die Redaktion in der Zimmerstraße, in deren unterer Etage ein sowjetisches Sektorengrenzkommando einquartiert war. (Auf der gegenüberliegenden Straßenseite residierte das Kommando der US-Besatzungsmacht in einer ausgeräumten Kneipe.)
Die beiden kamen in die Redaktion, um uns – knapp und deutlich formuliert – zu sagen, wo’s »langgeht« und was die Parteiführung von der Zeitung erwartet. Die Redaktion bestand aus einem Sextett: vier aus Moskau zurückgekommenen Emigranten – darunter Wolfgang Leonhard –, einer Berliner Genossin als Sekretärin und mir. Wir saßen in drei Zimmern, deren Fenster – an Glas war nicht zu denken – mit irgendwo demontierter Rollplaste vernagelt worden waren. Ge-nau kann ich mich nicht an die Details jenes Nachmittags erinnern, aber beide legten uns als Erstes ans Herz, den Lesern täglich so präzise wie möglich mitzuteilen, was sich in der Stadt verändert, denn noch standen die U-Bahn-Tunnel bis zu den Ausgangstreppen unter Wasser, wurden die Straßenbahnoberleitungen mühsam meterweise geflickt und an den wenigen Omnibushaltestellen standen kilometerlange Schlangen. Das Pfund Butter kostete auf dem Schwarzen Markt um die 800 Reichsmark, und man musste beim Kauf darauf achten, dass es sich bei dem vorgewiesenen Butterstück nicht um eine Sperrholzschachtel handelte, die in betrügerischer Absicht lediglich mit goldgelber Butter umhüllt war.
Begreiflich also, dass in diesen Wochen der nackten Existenzsicherung die Leser nicht so sehr interessierte, was die Alliierten in Paris oder London erörterten, sondern mehr, wann und wie man beispielsweise aus der Trümmerwüste im Zentrum nach Lichtenberg kam, um dort festzustellen, ob die Fabrikhalle, in der man bis Kriegsende tätig gewesen war, noch stand. Wir wussten, wie wichtig das für die Leser war, aber die beiden schärften es uns noch einmal ein und verwiesen darauf, dass wir uns mit umfassenden Informationen gegen
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