Walter Ulbricht (German Edition)
einen Wettlauf aus. Für dieses Duell bedurfte es keiner politischen Aufforderung Walter Ulbrichts, denn jeder Athlet wollte bei den Ausscheidungswettkämpfen für die gemeinsame Olympiamannschaft ein Ticket gewinnen. Der weitaus wissenschaftlicher und straffer organisierte DDR-Sport sorgte bald dafür, dass sich die Verhältnisse umkehrten. Vier Jahre nach Melbourne warnte das in Westberlin erscheinende CDU-Blatt Der Tag: »Ein roter Chef de Mission – das fehlte noch. Da gibt es nur ein Antwort: Mit allen Mitteln der Zone begegnen und sie in die Schranken zurückweisen.« Mit solchen Appellen war jedoch nicht viel zu erreichen, denn beim sportlichen Wettstreit entschieden die Leistungen und nicht die politischen Losungen!
Walter Ulbrichts Begrüßungsrede nach der Rückkehr der DDR-Olympia-Mannschaft aus Rom 1960 – die DDR gelangte mit 16 Medaillen auf den zwölften Rang – befasste sich allenfalls peripher mit diesem sportlichen Erfolg. Ihm ging es vor allem um Krieg und Frieden und die Rolle Deutschlands (nicht der DDR oder der BRD): »Das Auftreten und die Erfolge der deutschen Mannschaften in Rom zeigen, auf welche Weise das deutsche Volk zu Achtung und Ansehen in der Welt gelangen kann. Auf dem Schlachtfeld gibt es keine Zukunft, keinen Ruhm und keine Ehre, sondern nur Tod und Untergang. Die glückliche Zukunft des deutschen Volkes, sein Ruhm und seine Ehre sind nur zu sichern auf dem Felde der Arbeit, der Wissenschaft und der Kultur, zu der auch der Sport gehört.«
Als Kronzeugen für Ulbrichts strategische Sportpolitik möchte ich gern Willi Ph. Knecht (1929-2005) einführen. Der Leiter der Abteilung Aktuelles beim RIAS, Gesellschafter des Sport-Informations-Dienstes (sid) und Chefredakteur der Olympischen Sportbibliothek. Der gebürtige Rheinländer war kein Freund der DDR, aber es unterschied ihn von seinesgleichen, dass er zu einem gewissen Realismus fähig war. 1977 war ich ihm in einem Stadion begegnet, und er hatte mir angekündigt, dass er an einem Buch über den DDR-Sport arbeite. Es erschien bald darauf mit dem Titel: »Das Medaillenkollektiv. Fakten, Dokumente, Kommentare zum Sport der DDR«. Neben vielen üblen Auslassungen, die den Antikommunisten erkennen ließen, fand sich auch ein Kapitel, das ihm viel Kritik in seinen Kreisen eintrug. Es hieß: »Der Glücksfall Walter Ulbricht.«
»Die Politisierung und Ideologisierung von Körperkultur und Sport in der DDR, die daraus resultierende Einstufung als gesellschaftspolitischer Faktor ersten Ranges und die damit wiederum eingeleitete Aufwärtsentwicklung bis zum heutigen Niveau des Deutschen Turn- und Sportbundes der DDR sind ursächlich das Werk eines einzigen Mannes – Walter Ulbricht. So leicht durchschaubar im Nachhinein seine ideologischen Motive und seine parteilichen Zielsetzungen auch waren: Kein anderer deutscher Politiker hat den Aufbau einer Sportorganisation so nachdrücklich unterstützt und die Weiterentwicklung des Sports zu einem allgemeinen Lebensbedürfnis so systematisch vorangetrieben wie der langjährige Generalsekretär der SED und DDR-Staatsratsvorsitzende«, schrieb dort Knecht zu meiner Verwunderung.
»Von einem turn- und schwimmbegeisterten Vater angeregt und in seinem Hang zu sportlicher Freizeitgestaltung durch die frühe Mitgliedschaft im Leipziger Arbeiterturnverein ›Eiche‹ geprägt, war Walter Ulbricht Zeit seines Lebens ein Aktiver: Tägliche Morgengymnastik, mindestens zweimal wöchentlich Schwimmen, entsprechend der Jahreszeit Volleyball, Rudern, Radfahren oder Skilauf; schon über 60-jährig, nahm er noch Privatunterricht im Schlittschuhlaufen. Was mit Gymnastik und Geräteturnen im Gartengebäude des Leipziger ›Volkshauses‹ begann, mündete fast 40 Jahre später in groß angelegter Sportpolitik.
Zu seinen weitestblickenden Entscheidungen gehörte seine Order zur Gründung der Deutschen Hochschule für Körperkultur in Leipzig – gegen den Widerstand eines Teils des SED-Politbüros. Schon beim zehnjährigen Jubiläum dieser Kaderschmiede des DDR-Sports sah Ulbricht die Richtigkeit seiner Anordnung bestätigt: ›Im Jahre 1950 wurde die Hochschule eröffnet. Eineinhalb Jahre später, 1952, wurde der Grundstein gelegt zu den schönen, großzügigen Anlagen, die die Werktätigen der DDR der sozialistischen Körperkultur und den Sportlern zur Verfügung stellten. Damals – Sie werden sich erinnern – gab es in der DDR noch manche Leute, die sagten: Müssen wir so viel Geld für den Sport
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