Walter Ulbricht (German Edition)
Olympischen Spielen träumten. Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland unternahm 1952 nachweislich – und erfolgreich – alles, um den Start von DDR-Athleten bei den Spielen in Helsinki zu verhindern.
1954 begann IOC-Präsident Brundage (USA) mit der Suche nach Möglichkeiten, um sowohl dem Alleinvertretungsanspruch der BRD als auch dem Recht der DDR auf eine Teilnahme an Olympischen Spielen zu genügen. Er schlug 1955 in Paris dem IOC vor, die Mannschaften beider deutscher Staaten bei den Winterspielen 1956 in Cortina und bei den Sommerspielen in Melbourne in einem gemeinsamen Team starten zu lassen. Sporthistoriker unterschlagen gern, dass die BRD-Vertretung damals in Paris gegen diesen Vorschlag stimmte – aber mit dieser Haltung in der Minderheit blieb.
In dieser Zwei-Länder-Mannschaft gewann die DDR in Cortina ihre erste olympische Medaille, DDR-Meister Harry Glaß holte Bronze im Skipspringen.
Auf dem V. Parteitag der SED 1959 übte Walter Ulbricht erneut massive Kritik an der Sportbewegung, und sie galt nicht dem Spitzen- und Leistungssport, sondern dem Jugendsport in den Wohngebieten. Seine Forderung lautete knapp und konkret: »Jeder Jugendliche treibt Sport!«
Dabei muss erwähnt werden, dass Walter Ulbricht zu den Ersten gehörte, die in seiner Altersklasse die Bedingungen für das DDR-Sportabzeichen ablegten. Am 3. Juni 1959 fand auf einem Platz des Stadions an der Cantianstraße ein »Treffpunkt Olympia« statt. Veranstaltungen mit diesem Namen waren von der Sportredaktion der Jungen Welt erfunden worden, um DDR-Olympiateilnehmer und interessierte Jugendliche zusammenzubringen. Walter Ulbricht warb für diesen »Treffpunkt« unter den Mitgliedern des Politbüros einige Volleyball-Interessierte, die dann eine Mannschaft bildeten und gegen eine Mannschaft von Jugendlichen und Sportfunktionären antrat.
Fast in jedem Jahr traf ich Walter Ulbricht in Klingenthal. Er kam zu den Höhepunkten des Skisports – die DDR war, das nur nebenbei, nach der Schweiz das zweite Land, in welchem Damenskirennen stattfanden. Ulbricht erschien meist schon am Morgen mit seiner Frau auf Brettern. Abends saßen wir oft beisammen und erörterten aktuelle Sportprobleme. Einmal gerieten wir in heftigen Streit, der sich über Stunden hinzog. Es ging um die Frage, ob unsere Eiskunst-läuferinnen und -läufer in einer »Revue« auftreten sollten oder nicht. Er war entschieden dagegen. Dynamo Berlin wollte zu Weihnachten in der Werner-Seelenbinder-Halle eine kleine Revue auf Kufen aufführen, an der die damals berühmtesten Aktiven mitwirken sollten. Walter Ulbricht war aus unerfindlichen Gründen strikt dagegen und ließ kein Argument gelten. Ich habe bis heute nicht diesen Streit vergessen, weil er so ungewöhnlich war. Ich hatte und habe später Ulbricht viele Male erlebt, wie er die Argumente aller zur Kenntnis nahm und dann auch akzeptierte und sich notfalls korrigierte, aber in diesem Fall ließ er sich nicht von seiner Meinung abbringen.
Diese Weihnachtsrevue fand aber trotzdem statt und wurde, wegen des großen Zuspruchs, mehrere Male wiederholt.
Der Streit um den »Chef de mission« gehört nicht unbedingt zum Thema Walter Ulbricht, doch es war ein Kapitel der Geschichte des DDR-Sports. Nach der schon erwähnten Abstimmung im IOC über die Mannschaft beider deutscher Staaten gab es eine Reihe von Protokollfragen zu klären. Der Begründer der modernen Spiele, Coubertin, war bekanntlich ein Franzose, und dieser hatte die Funktionen in den Mannschaften französisch bezeichnet. Der Bürovorsteher, dessen Aufgabe unter anderem darin bestand, die Omnibusse für die Mannschaften zum Training zu bestellen und Quartierfragen zu regeln, hieß Chef de mission. Wer sollte ihn in der gesamtdeutschen Mannschaft stellen? West oder Ost?
Die Bundesregierung erklärte: Schon aus Prinzip könne keiner aus dem Osten Chef werden! Den sich nun schier endlos hinziehenden Streit hoffte die DDR mit dem salomonischen Vorschlag zu beenden, dass die BRD den »Chef de mission« bei den Sommerspielen stellte und die DDR den bei den Winterspielen. Da sei auch die Mannschaft wesentlich kleiner. Bonn akzeptierte auch das nicht. Der NOK-Chef der BRD, Daume, wurde nach Chicago geschickt, um den IOC-Präsidenten zu veranlassen, dass der entschied: Wer die meisten Athleten in der Mannschaft stellte, nominiert auch den »Chef de Mission«. In Melbourne sah das Verhältnis 132 zu 37 aus, man wähnte sich auf der sicheren Seite.
Bonn löste damit
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