Walter Ulbricht (German Edition)
kleinen Genossenschaft von 800 Hektar angefangen. Dann wurde sie Kooperation, schließlich Agrar-Industrie-Vereinigung. Und jetzt gibt es die Agrargenossenschaft, die Ackerbau und Viehzucht betreibt und aufs Geld achten muss.
Und hast du die »Wende« gut überstanden?
Wenn du damit meinst, ob es Ärger gab? Nein. Ein 15-Jähriger hat mal eine Bierflasche durchs Fenster geworfen, das war aber nicht politisch motiviert, der war betrunken. Und im Jagdkollektiv hat einer gestänkert, aber da ich auf die Rente zuging, hatte ich ohnehin vor, meine Mitgliedschaft zu beenden. Nein, es gab keinen Ärger. Als Kotelow unlängst seine 625-Jahr-Feier beging, wurde ich sogar gebeten, die Festrede zu halten.
In unserem einstige Herrenhaus befanden sich bis 1989 die Dorfgaststätte, der Konsum und unser sehr gut besuchter Konsultationsstützpunkt. Dann stand das Haus leer. Ein westdeutsches Ehepaar hat, vermutlich fürn Appel und ’n Ei, das Barockgebäude inklusive sieben Hektar Land und Forst erworben und daraus ein Hotel gemacht. Das sieht jetzt alles sehr hübsch aus, und ich stelle nicht in Abrede, dass dort sehr viel Kraft und auch Geld investiert worden ist. Aber es schmerzte natürlich, wenn man bei der Eröffnung 2007 in Hochglanzblättern unter der Überschrift »Wohnen nach Gutsherrenart« lesen durfte: »Jagdschloss Kotelow: 1733 erbaut, zu DDR-Zeiten vernachlässigt, jetzt liebevoll restauriert.« Und: »Lampen aus dem Libanon, Möbel aus Dänemark, eine steinerne Terrassentreppe aus Berlin ...« Das hatten wir natürlich alles nicht. Aber es war unser Schloss, keine Designerherberge für »Gutsherren« aus dem Westen. Und wir haben es in Ordnung gehalten.
Warst du inzwischen mal dort?
Nein. Der Besitzer traf mich aber einmal auf der Straße und erkundigte sich, ob ich »die Frau Müller« sei. Ja, sagte ich, er könne mal gern zu mir zum Kaffee kommen, ich wohne da vorn unweit der Kirche. Hat er bis heute noch nicht geschafft.
Und du hast zum Jubiläum gesprochen?
Das ganze Dorf war gekommen, fast 300 Menschen. Ich lebe seit dem 26. Januar 1960 in Kotelow, fing ich an. Damals bin ich zum ersten Mal, mit 29 Jahren, zur LPG-Vorsitzenden gewählt worden. Und ich berichtete, wie es war, als wir anfingen. Es gab keine befestigten Straßen, die Stiefel blieben im tiefen Schlamm stecken. Und dann kam Hilfe: von der NVA, von der Sowjetarmee, sogar von der Staatssicherheit, die haben erst einmal die Wege mit ihrer Technik befestigt. Stück für Stück haben wir dieses Dorf, sagen wir ruhig, zivilisiert und vorangebracht. Über jedes neue Haus, jeden neuen Stall, jede neue Scheune, über die Milchviehanlage, die Schweineställe, die wir gemeinsam errichtet haben, haben wir uns auch gemeinsam gefreut. Wir haben zusammen gefeiert und uns auch gemeinsam geärgert, wenn es nicht so lief, wie wir es uns wünschten. Wir waren eine Gemeinschaft. Und selbst im Sommer konnten Bauern in den Urlaub fahren, und die Kinder qualifizierten sich an Hoch- und Fachschulen und kamen mitunter wieder zurück, weil sie selbst in dem kleinen Kotelow für sich und ihre Familie eine Perspektive sahen. – So habe ich geredet. Was meinst du, was ich da für einen Beifall bekommen habe. Nur die Jungs von der Feuerwehr haben mich anschließend kritisiert. »Frau Müller, alles haben Sie erwähnt. Nur unsere Freiwillige Feuerwehr haben Sie vergessen.« Stimmt. Das tat mir wirklich leid.
Der Schlossbesitzer und seine Frau, eine Ärztin, kamen auch auf mich zu und meinten fast mitleidsvoll, sie hätten gar nicht gewusst, wie schwer wir es gehabt hätten. Nein, sagte ich, leicht war der Anfang wirklich nicht. Aber wir hatten ein Ziel vor Augen, und das gab uns Kraft. – Ich weiß nicht, ob sie das verstanden haben.
Wenn sie heute das Angerfest feiern, wird eine Hüpfburg für das halbe Dutzend Kinder, das noch im Dorf lebt, aufgeblasen und die Kinder werden geschminkt, es gibt laute Musik, und die Alten trinken dazu ihr Bier aus Plastikbechern. Ach, Margarete, sagen sie dann, früher konnten wir wenigstens noch richtig feiern. Die Kneipe im Nachbardorf hat auch dichtgemacht, die Leute gehen weg, ich meine inzwischen jeder Vierte. Ein Wohnblock, den wir damals errichtet hatten, wurde auch schon abgerissen.
Der eine Nachbar, der bisher immer in den Westen zum Arbeiten fuhr, hat den Job aufgegeben. Benzin, Miete und Lebenshaltung dort kosteten soviel, wie er verdiente. Das lohne sich wirklich nicht. Da bleibe er lieber zu Hause und kümmere sich um
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