Walter Ulbricht (German Edition)
Haus und Garten. »Wenn Sie mal was zu tun haben, Frau Müller, ich helfe gern.« So was ansehen zu müssen, ist bitter.
Erzähl mal etwas über deine Familie.
Wir lebten in einem Dorf 15 Kilometer von hier. Wir waren vier Geschwister, jetzt ist nur noch eine Schwester übrig. Mein Bruder Manfred spielte bei ASK Vorwärts in der Fußballoberliga. Er hat bis in die 90er Jahre hinein in Neubrandenburg als Trainer gearbeitet. Dann kam er an einem Mittwoch ins Krankenhaus und am Sonntag war er tot. Mit 68. Nie getrunken, nie geraucht, immer gesund gelebt.
Deine Biografie nach der Volksschule ist eine reine ostdeutsche, sie wird von typischen DDR-Begriffen begleitet: Traktoristin, Agronomin, MAS (für Maschinen-Ausleih-Station), MTS, LPG, Kooperative Abteilung, Agrar-Industrie-Vereinigung. Sie dokumentieren zugleich Entwicklungsstufen der DDR-Landwirtschaft. Kannst du dazu etwas sagen?
Die Maschinen-Ausleihstationen waren, kurz gesagt, die Hilfe der Arbeiterklasse für die Landwirtschaft, ihr Vorgänger waren die VdgB 1 -Maschinenhöfe. Sie gingen auf einen Befehl der SMAD zurück. Mit den dort konzentrierten Maschinen sollte Neubauern sowie Klein- und Mittelbauern geholfen werden. Mit der Gründung von Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften wurden daraus Maschinen-Traktoren-Stationen, MTS. Die Maschinen und Traktoren waren volkseigen und gingen nicht ins Eigentum der Genossenschaft über, die MTS blieben juristisch selbständige Betriebe, die Mitarbeiter – ich als Traktoristin – waren angestellt. Wir verstanden uns als Stützpunkt oder Brückenkopf der Arbeiterklasse auf dem Lande. Anfang der 60er Jahre, als wir vollgenossenschaftlich waren, wurden die Maschinen ins Eigentum der Genossenschaften überführt und die MTS 1964 zu Kreisbetrieben für Landtechnik (KfL), die die Maschinen warteten und reparierten.
Mein MAS-Direktor sagte immer zu uns: Mädchen, Mädchen, lernt was. Ihr müsst irgendwann den Laden hier schmeißen! Aber was sollten wir lernen? Wir haben auf dem Dorf gelebt, waren Umsiedler aus Oberschlesien, besaßen nichts, nicht einmal Pläne. Wir kamen aus der Stadt. Vater hatte zwar dort auf dem Stadtgut gearbeitet, aber er war kein Bauer. Wenn mich Mutter damals fragte: Mädchen, was willst du mal werden?, habe ich geantwortet: alles, nur nichts in der Landwirtschaft. Aber als wir 1945 in Vorpommern landeten, blieb uns, auch mir, nichts anderes übrig, als in die Landwirtschaft zu gehen. Vater kam alsbald aus der Kriegsgefangenschaft und fing auf dem VdgB-Maschinenhof als Traktorist an. Und so kam auch ich dazu. Im Februar 1949 erhielt die Ostzone 1.000 Traktoren als Hilfe aus der Sowjetunion. 2 Wir kriegten auch eine »Nati-Raupe« ab, das war ein Kettenschlepper mit 50 PS aus Charkow. Und den durfte ich fahren.
Hast du dich darum beworben oder sagte man: Los, Mädel, jetzt steig auf den Bock?
Sie hatten für mich keine andere Arbeit. Ich hatte bereits auf dem Lanz-Bulldog Treckerfahren gelernt und war dadurch eine der ersten Traktoristinnen. Das hing auch mit der FDJ-Aktion »Jugend auf die Traktoren« zusammen, bei der ich in Schwerin einen entsprechenden Lehrgang besucht hatte.
Schließlich delegierte man mich zu einem weiteren Lehrgang nach Neubrandenburg. Dort war auch der Direktor der Landwirtschaftsfachschule in Demmin. Der sagte, ich müsse eine richtige Ausbildung machen. Er überzeugte mich. So war ich denn ein Jahr in Demmin und zwei Jahre in Güstrow. Nach dem Fachschulabschluss war ich Agronom 3 . Aber, kaum fertig, suchten sie welche für ein Studium in der Sowjetunion. Wir waren sieben Deutsche, die nach Leningrad kamen – acht Jahre nach dem Krieg! Das war nicht einfach. Bei der praktischen Ausbildung, beim Pflügen, liefen Soldaten mit Minensuchgeräten vor unserem Traktor. Meine Diplomarbeit beschäftigte sich mit Sommerweizen, dazu musste ich auch ein Stück Feld anlegen.
Im Institut waren wir in der Agrofak 25 Mädchen, zu einigen habe ich noch heute Kontakt, die meisten sind inzwischen auch nicht mehr. Später, als ich dann schon LPG-Vorsitzende war, lud ich sie zu mir ein. Sie waren dann jeweils drei, vier Wochen bei uns in Kotelow zu Besuch und schauten sich die Landwirtschaft in der DDR an. Natascha, die die Leningrader Blockade überlebt hatte, ist 2012 verstorben. Als ich sie nach ihrem ersten Besuch bei uns zum Bahnhof brachte, hat sie mich umarmt und gesagt, sie habe sich gefreut, normale Deutsche in Deutschland kennenzulernen. Ich ahnte, was sie damit
Weitere Kostenlose Bücher