Walter Ulbricht (German Edition)
eine Genossenschaft nachdachten, und warnte vor überzogenen Erwartungen. Ich forderte Geduld und handfeste Argumente, vor allem gute Genossenschaften mit hohem Einkommen.
Lese ich diese Rede heute, so führt sie mir meine eigene innere Zerrissenheit und eine gewisse Ratlosigkeit vor Augen. Im Kern war ich dem Neuen, dem Sozialismus zugetan, auch und gerade auf dem Lande. Mit dem Weg dorthin hatte ich meine Schwierigkeiten. Viele Fragen und zu wenig Antworten. So war der Dissens zwischen mir und einem Großteil der Delegierten unvermeidlich. Vorwärts hieß für sie, Lösungen und Taten auf den Tisch!
Ich aber hatte damals mehr Probleme.
Es gehört wohl zu den Glücksmarken auf meinem Lebensweg, dass Walter Ulbricht im Saal saß und mir aufmerksam zuhörte. Am nächsten Tag sprach er und erteilte meinen zahlreichen Widersachern unaufgeregt eine überzeugende Lektion: »Ihr habt hier die Darlegungen des Jugendfreundes gehört, der noch auf dem Hof eines Einzelbauern arbeitet. Er hat aufgezeigt, wie kompliziert es ist, die wohlhabenden Mittelbauern zu gewinnen. Einige von euch haben geknurrt, als er hier sprach. Aber der Jugendfreund hatte Recht, dass er hier offen alle diese komplizierten Fragen der Entwicklung des Einzelbauern zum Eintritt in die LPG dargelegt hat. (Beifall) Das ist doch leicht. Ein solcher Jugendfreund soll den alten Besitzer des Bauernhofes überzeugen, dass er in die LPG geht. Wie kann er ihn überzeugen? Am besten dadurch, dass in diesem Ort die LPG schnell entwickelt wird und zu solch hohen Arbeitseinheiten kommt, dass die Bauern sagen: Jawohl, wir gehen in die LPG.
Also, wir verstehen sehr gut, was der Jugendfreund gesagt hat, und wir wollen ihm helfen, damit die Altbauern gewonnen werden. Wir müssen ins Dorf gehen und auf dem Bauernhof diese Frage klären.« 3
Noch am selben Tag wurde ich als Jüngster in den Zentralrat der FDJ gewählt. Am Abend gab die Regierung der DDR einen Empfang für Delegierte und Gäste des Parlaments. Walter Ulbricht, der in seiner Funktion als Erster Stellvertreter des Ministerpräsidenten Otto Grotewohl vertrat, war debattierend unterwegs. Irgendwann stand er auch vor mir. Er erkannte mich. Freundlich, auch ein wenig nachdenklich, aber sehr bestimmt und zuversichtlich sagte er zu mir: »Die sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft ist eine schwierige Aufgabe. Es wird dauern, aber ich denke, wir werden es schaffen.«
Wahrscheinlich wäre mein Leben auch ohne Ulbrichts Rettung ein politisches geworden. Aber ob ich es ohne dieses Lehrstück in Sachen sozialistischer Demokratie und vertrauensvollem Disput so überzeugt gelebt hätte, steht dahin.
1 Demokratischer Frauenbund Deutschlands
2 siehe: VI . Parlament der FDJ , Rostock 12.-15.5.1959, Verlag Junge Welt, Berlin 1959, S. 16
3 a. a. O., S. 361
Margarete Müller
Er wollte Praktiker im Politbüro. Ich war jung, qualifiziert, Frau und leitete eine Genossenschaft
Margarete Müller, Jahrgang 1931, nach Besuch der Volksschule Tätigkeit in einer Gärtnerei, von 1948 bis 1950 Traktoristin auf einer Maschinen-Ausleih-Station (MAS), und Lehre auf dem Versuchsgut Gustavshof, danach Studium an der Fachschule für Landwirtschaft in Demmin. 1951 Eintritt in die SED. Von 1953 bis 1958 Studium am Landwirtschaftlichen Institut in Leningrad, danach Agronomin in der LPG Brohm und seit dem 26. Januar 1960 Vorsitzende der LPG Kotelow. Von 1973 bis 1976 Leiterin der Kooperativen Abteilung Pflanzenproduktion beziehungsweise später der LPG Pflanzenproduktion in Kotelow, danach der Agrar-Industrie-Vereinigung Friedland. Von 1963 bis 1989 Mitglied des ZK der SED und Kandidat des Politbüros, Volkskammerabgeordnete, und seit 1971 auch Mitglied des Staatsrates. Am 26. Januar 1990 Ausschluss aus der SED-PDS. Margarete Müller lebt allein in Kotelow, einem kleinen Dorf in Mecklenburg-Vorpommern.
M argarete, wie geht es dir gesundheitlich?
Ach, ganz gut. Nur beim Gehen werde ich immer langsamer.
Du musst Gymnastik machen.
Egon, ich habe viertausend Quadratmeter Garten allein zu bewirtschaften, da habe ich Gymnastik genug.
Gibt es keine Hilfe?
Der Nachbarsjunge hilft im Moment. Es gibt ja im Ort nur noch die Agrargenossenschaft. Wir haben damals unsere Leute im Winter beschäftigt, es gab genug Arbeit in der Werkstatt. Heute ist die Technik so kompliziert, dass das nicht mehr geht. Und um Personalkosten zu sparen, werden die Bauern von November bis März in die Arbeitslosigkeit geschickt. Wir haben hier mit einer
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