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Walter Ulbricht (German Edition)

Walter Ulbricht (German Edition)

Titel: Walter Ulbricht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Egon Krenz (Hrsg.)
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Kandidat des Politbüros warst?
    Ja. An die fünfzig Stück. Da gab es mal eine schöne Geschichte. Frieda Sternberg 9 – erste LPG-Vorsitzende der DDR und ZK-Mitglied – sagte ich, dass ich einen Hahn brauche. Da brachte sie mir zur ZK-Sitzung einen aus ihrer LPG im Bezirk Leipzig mit. Wir standen vorm ZK-Gebäude, und sie holte den Hahn aus dem Auto: »Schau mal, was für ein hübsches Tier«, sagte sie, strich ihm bewundernd übers Gefieder, und dann habe ich ihn in meinen Volvo geladen. Meine Hühner haben ihm sehr zugesetzt. Als ich aus dem Urlaub kam, wurde ich vom Fahrer in Schönefeld mit Leidensmiene begrüßt: Genossin Müller, es ist etwas Schlimmes passiert.
    Ich rechnete mit allem, nur nicht mit der Mitteilung: Der Hahn ist tot. Er hatte den Stress nicht überstanden.
    Was hast du mit den Hühnereiern gemacht?
    Die habe ich abgeliefert wie alle, und dafür gab es Korn. Nach der »Wende« hatte sich das erledigt. Da musste ich die Eier selber essen.
    Wenn ich das richtig verstanden habe, waren hier in Kotelow nicht ständig Personenschützer um dich herum?
    In Kotelow haben die Bauern auf mich aufgepasst.
    Du hast acht Jahre lang, von 1963 bis 1971, Walter Ulbricht in jeder Woche mindestens einmal getroffen, nämlich zur Politbürositzung. Und ihr seid gemeinsam bei Protokollveranstaltungen, Bauernkongressen, Besuchen der agra in Markkleeberg und in Landwirtschaftsbetrieben etc. aufgetreten. War er jemals in Kotelow?
    Nein.
    Wie wirkte er auf dich?
    Väterlich und irgendwie sehr gesetzt.
    Lag das am Alter, am Charakter oder an der Funktion?
    Ich glaube, das entsprach seiner Natur.
    Hattest du auch Kontakt zu Lotte Ulbricht?
    Ja. Ich erinnere mich an einen Frauenkongress in Klink. Tage vorher kam Erika Jahnke aus der Frauenkommission nach Kotelow. Es gab damals noch keine feste Straße im Dorf. Sie stieg also aus und ihre Pumps blieben im Modder stecken. Das muss sie wohl Lotte erzählt haben. Denn in Klink, mich begleiteten noch einige Frauen aus meinem Dorf, gab sich Lotte erstaunt, dass wir so schicke und saubere Schuhe trügen. Wie denn das? Ach, sagte ich, wir haben unsere Gummistiefel im Auto. Und das war nicht gelogen.
    Willi Stoph kam auch einmal. Dem widerfuhr das gleiche Malheur. Danach haben wir eine feste Straße gekriegt. Die haben wir allerdings nicht geschenkt bekommen, die wurde in den Dorfentwicklungsplan und in unseren Haushalt eingebunden. Nach der »Wende« haben wir dann mit Fördermitteln eine neue schicke Straße bekommen – ohne Bürgersteig.
    Das heißt: Das Dorf selbst hat damals die Straße bezahlt.
    Kann man so sagen.
    Ich frage deshalb nach, um zu klären, ob die Gemeinde von deinem politischen Amt profitiert hat.
    Definitiv nein. Das, was wir mit der Genossenschaft auf die Beine gestellt haben, hätten wir auch ohne meine Funktion in Berlin erreicht. Ich war so wenig privilegiert wie das Dorf. Ich will dir mal die bescheidenen Möglichkeiten eines Politbüromitgliedes bzw. -kandidaten an einem Beispiel schildern.
    Du hast am Dorfeingang gewiss das leerstehende Torhaus gesehen. Früher ging die gepflasterte Dorfstraße hindurch, jetzt schlägt die Asphaltpiste darum einen Bogen. Damals sind wiederholt die LPG-Fuhrwerke dort hängengeblieben, einmal brach sogar eine Deichsel durchs Mauerwerk, als die Pferde durchgingen: Und hinter der Wand stand das Kinderbett … Abriss schien die beste aller Lösungen. Ich habe es dem Agrarmuseum in Alt-Schwerin als das letzte Torhaus in Mecklenburg angeboten, die Kollegen dort hatten schließlich auch schon ein altes Bauernhaus abgetragen und im Freilandmuseum wieder aufgebaut. Doch sie winkten ab. Als einmal in der Nähe ein Panzer der NVA unterwegs war, bin ich hin und habe dem Fahrer tausend Mark geboten, wenn er mal zufällig mit seinem … Der Soldat hat nur den Kopf geschüttelt und gesagt: Genossin Müller, das mache ich nicht. Das Gebäude steht doch unter Denkmalschutz.
    Das Torhaus verrottet nun seit Jahren und steht zum Verkauf.

    1 Die Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB) war im Herbst 1945 mit den Kommissionen für Bodenreform gegründet worden. Daraus wurde im November 1950 die Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe/Bäuerliche Handelsgenossenschaften (VdgB/ BHG ). Sie war für die Abnahme von Landwirtschaftserzeugnissen und die Zuteilung von Saatgut, Dünge- und Futtermitteln verantwortlich und unterstützte die Landwirtschaft wie insgesamt die Entwicklung auf dem Lande politisch. In der Volkskammer stellte

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