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Walter Ulbricht (German Edition)

Walter Ulbricht (German Edition)

Titel: Walter Ulbricht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Egon Krenz (Hrsg.)
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Partei Polens war 1938 als angeblich trotzkistisch verseucht liquidiert worden, das zweifelhafte Schicksal der 1939 in Katyn ermordeten Offiziere der polnischen Armee lastete ebenfalls schwer auf dem Verhältnis zur Sowjetunion. Hinzu kam die aus der früheren Geschichte stammende traditionell antirussische Stimmung in weiten Bevölkerungskreisen, die durch die spürbare Abhängigkeit des neuen Polens von der Sowjetunion ebenfalls gestärkt wurde.
    Als ich 1955 in Warschau weilte, berichteten mir einige Genossen erschüttert, dass sie die Wahrheit über den Tod der führenden Funktionäre der Kommunistischen Partei erst jetzt erfahren hatten.
    Die im Sommer und Herbst 1956 entstandene äußerst kritische Situation war von der Führung der PVAP unter Edward Ochab kaum zu meistern. Das ZK der Partei beschloss nach einer gründlichen Beratung, den früheren Generalsekretär der Partei, Wladislaw Gomulka, zum Ersten Sekretär zu wählen, nachdem dieser fünf Jahre zuvor wegen angeblich nationalistischer Abweichungen auf sowjetischen Druck ausgeschlossen und inhaftiert worden war. Dies war m. E. eine mutige und vernünftige Entscheidung, da Gomulka seinerzeit die größte politische und moralische Autorität in Polen besaß.
    Im Licht der weiteren Entwicklung von 1956 bis zum Ende der DDR und auch meiner eigenen politischen Erfahrungen muss ich allerdings sagen, dass meine Kritik an Ulbrichts Umgang mit dem XX. Parteitag der KPdSU und seinen Folgen zwar richtigen theoretischen Erwägungen entsprang und auch in politischer Hinsicht berechtigt war, weil dadurch Unsicherheit und Verwirrung in der Partei nicht vermieden, sondern vergrößert wurde. Es hätte sicher besser durchdachte Möglichkeiten der Aufklärung über Chruschtschows Rede gegeben, ohne großen Schaden anzurichten. Das hätte aber vorausgesetzt, zumindest in bestimmten Gremien eine offene und ehrliche Diskussion zu führen, um die Linie und die entsprechenden Maßnahmen festzulegen. Doch war die Führung dazu damals nicht in der Lage, weil sie von den Ereignissen einfach überrollt wurde, keine einheitliche Auffassung besaß und in Anbetracht durchaus realer Gefahren mitunter auch hektisch reagierte. Andererseits ist mir später auch klar geworden, dass Ulbricht angesichts der Abhängigkeit von der Sowjetunion und der Erfahrungen von 1953 im Umgang der Führung der KPdSU mit der DDR gar keine andere Möglichkeit hatte, als dem Beschluss des ZK der KPdSU über den Personenkult und seine Folgen offiziell zuzustimmen. Die SED war damals gewiss die letzte Partei, die es wagen konnte, der KPdSU entgegenzutreten und Forderungen an sie zu richten – ganz unabhängig davon, was Ulbricht persönlich über diesen Beschluss und auch das Referat Chruschtschows gedacht haben mag. Eine große öffentliche Diskussion über alle damit verbundenen Fragen hätte – abgesehen von den möglichen Folgen für die innere Stabilität der DDR – unvermeidlich zu einer Konfrontation mit der KPdSU unter Chruschtschow führen müssen. Die SED und die DDR aber brauchten zu jener Zeit nichts dringender als die Unterstützung durch Chruschtschow und die Sowjetunion.
    Bei der Abwägung, was für den Erhalt der DDR lebenswichtiger war, konnte aus sehr ernsten Gründen nur entschieden werden, die unangenehme Unterdrückung einer breiten Diskussion und aller Bestrebungen, welche die innere Stabilität und Sicherheit der DDR gefährdeten, als kleineres Übel in Kauf zu nehmen. Doch rechtfertigt das m. E. nicht die übertriebene Strafverfolgung einer Reihe von Intellektuellen, die in der Partei häufig die Wortführer kritischer Auffassungen waren und angeblicher konterrevolutionärer Bestrebungen beschuldigt wurden. Ich hielt eine Verurteilung nur in solchen Fällen für berechtigt, in denen eindeutig gegen geltendes Recht und Gesetz verstoßen wurde, und das war meines Wissens nur bei Wolfgang Harich der Fall, der sich dazu verleiten ließ, mit dem Ostbüro der SPD und anderen westdeutschen Institutionen, deren erklärtes Ziel die Beseitigung der DDR war, zu konspirieren und über eine neue Regierung zu verhandeln. (Dies war ihm, nebenbei bemerkt, später durchaus klar, und er erkannte es auch an.)
    Vergleicht man die Entwicklung der sozialistischen Länder in den Jahren nach dem XX. Parteitag der KPdSU, dann muss man m. E. anerkennen, dass es der Führung der SED unter Walter Ulbricht insgesamt weit besser gelang, die kritische Periode zu überstehen und den Aufbau der Grundlagen des

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