Walter Ulbricht (German Edition)
sächsisch: »Weil mir was ham, newah? Weil mir was ham!«
Es wird mir eingeleuchtet und ich werde genickt haben, und dem Vorsitzenden zeigte mich das wohl als einen Mann, mit dem sich gute Ideen gut beraten ließen, denn im vertraulichen Tone zwischen Vertrauten setzte er leis triumphierend hinzu: »Die, wo nischt ham, mit denen kooperiern se nich!«
Weil ich das ohne Schwierigkeiten begriff, machte ich sicher einen lockeren Eindruck und zeigte den fernen Beobachtern so, dass zwischen dem Vorsitzenden und mir gut Wetter herrsche. Dieter Noll war es, der sich, den anderen weit voran, auf den Weg in die freundliche Klimazone machte, und sie alle hörten den Vorsitzenden sagen, was er mir zur Sache Kooperation weiter zu sagen hatte: »Bei der letzten Messe in Leipzig hat man mir die neuesten Entwicklungen vorgeführt, und ich habe gesagt: Alles zudecken! Wissen Sie, warum, Herr Kant? Nun, nichtwahr, es gibt nicht nur feindliche Spione, es gibt auch freundliche, nichtwahr!«
Allgemeines Gelächter, allgemeine Fortsetzung der Ideenberatung, ein paar nichtssagende Berichte noch, dann ein Schlusswort des großen Gelehrten, das meines Wissens tatsächlich von all seinen Schlussworten das letzte war. Noch einmal erfuhren wir von führender Rolle, Verantwortung der Kunst, Ingenieuren der menschlichen Seele, Bitterfelder Weg und einer Überlegenheit der Berliner über die New Yorker Müllabfuhr. Von den Geheimnissen der Kooperation zwischen sozialistischen Partnern hörten wir weiter nichts, aber ich bekam meinen Anteil an der Ideenberatung bescheinigt. Der Genosse (nun wieder Genosse) Kant, sagte der Genosse Ulbricht, habe geholfen, ein Hauptkettenglied zu finden, indem er formulierte, er habe mit seinem Buch nicht schaden wollen. Das jedoch, fuhr der Vorsitzende fort, sei nicht die ganze Wahrheit. Die ganze Wahrheit sei, dass der sozialistische Künstler mit seiner Kunst nicht nur nicht schaden, sondern vor allem nützen solle.
Keine Ahnung, wie die Sache zu Ende ging. Unaufwendig wohl und für den Abend noch folgenlos. Der alte Mann schloss den Staatsrat hinter uns ab, die jungen Männer vom Politbüro warfen sich mit sardonischen Mienen in ihre Tschaikas; ich warf mich entgeistert in die Arme meiner Frau und ließ sie wissen, warum die Freunde mit uns goobberiern; Höpcke schrieb anderntags im Neuen Deutschland einen ganzseitigen Bericht, und die Stelle »Das ist aber nicht die ganze Wahrheit« servierte er wörtlich; der Aufbau-Verlag/Rütten & Loening meldete sich gegen Mittag – ob wir uns nicht über den Roman unterhalten wollten.
Über Jahrzehnte habe ich vom Vier-Augen-Gespräch mit Walter Ulbrich, dem hundert Augenpaare zusahen, erzählt und eine Verwirrung des älteren Herrn immer für möglich gehalten. Aber was – hier eine Idee ganz aus dem Geiste nachgereichten Personenkults –, wenn er wusste, dass er sich nicht festlegen durfte, aber etwas bewegen könnte, wenn er – worüber auch immer – vertraut und freundlich mit mir spräche?
Karl-Heinz Schulmeister
Förderer der Wissenschaften und der Kultur
Karl-Heinz Schulmeister, Jahrgang 1925, Lehrersohn, Abitur, 1946 SED, Kulturbund 1946, Referent in der Landesregierung von Mecklenburg, bis 1952 Landessekretär des Kulturbundes von Mecklenburg und Landtagsabgeordneter. 1955 Bundessekretär des Kulturbundes. Von 1958 bis 1990 Volkskammerabgeordneter, seit 1965 – in der Nachfolge Erich Wendts – Vorsitzender der Fraktion des Kulturbundes. Fernstudium der Geschichte an der Humboldt-Universität, 1974 Promotion, 1982 Professor an der Humboldt-Universität, 1981 zum 1. Vizepräsidenten des Kulturbundes gewählt. Seit 1990 Rentner.
I.
Es war in Halle, wo ich Walter Ulbricht 1957 als mutigen Gesprächspartner der Wissenschaftler erlebte. Halle war der Ort einer der ältesten wissenschaftlichen Akademien, der Leopoldina. Dort wirkten damals einige der führenden bürgerlichen Wissenschaftler, denen es schwerfiel, die neue Staatsmacht zu akzeptieren. Unter der Leitung von Prof. Dr. Mothes bestand ein sogenannter »Spirituskreis«, der sich ablehnend verhielt, was wir damals im Kulturbund nicht wussten. Als Bundessekretär dieser Organisation nahm ich an dieser großen Versammlung teil. Ulbricht ging in die Höhle des Löwen, sprach Klartext, erläuterte die Wissenschaftspolitik des Arbeiter-und-Bauern-Staates und warnte vor feindlichen Aktivitäten. Mit welcher Offenheit und Konsequenz, auch Mut, der Arbeiterführer vor der Elite der Intelligenz
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