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Walter Ulbricht (German Edition)

Walter Ulbricht (German Edition)

Titel: Walter Ulbricht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Egon Krenz (Hrsg.)
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Geboten sollte es nun eine Ideenberatung sein. Eine Ideenberatung mit Künstlern. Ein Treffen an der Spitze des Staates, von dem die Spitze der Partei bis eben noch keine Ahnung hatte. Ein unerhörter Vorgang. Entsprechend nervös ging es zu; die Künstlerverbände suchten beim ZK zu erfahren, was sie erwarte; das ZK ging, seltenstes Ereignis, uns um Gutachten an. Wir wussten aber nur: Von uns wurde ein Lagebericht erwartet.
    Anna Seghers war krank oder nannte es so; ich hatte Vortrag zu halten. Worin die Ideen Ulbrichts, die er dann unter unseren Ohren mit sich selber beriet, bestanden haben, weiß ich nicht mehr. Ich war zu sehr mit dem Vorsatz beschäftigt, meine eigenen Verhältnisse wieder auf die Füße zu stellen. Ich lieferte eine sachliche Schilderung unserer Verbandsarbeit; dabei störte mich nicht, dass es die wenigen Politbüromitglieder, die wie zur Beobachtung anwesend waren, zu stören schien. Es gehe den störrischen Alten, sagten ihre Mienen, nichts mehr an, und gleich darauf wollten mir ihre wütenden Gesichter bedeuten, ich solle von meinem persönlichen Kram die Klappe halten. Aber ich sagte, ich könne nicht gut die Lage im Verband als ordentlich beschreiben, um von der Unordnung im eigenen Schreibbetrieb dann zu schweigen. Ich sei der Autor eines vor Jahren gedruckten, aber nicht veröffentlichten Buches, von dem ich wisse, es könne keinen Schaden stiften. Es werde jedoch behandelt, als stehe das Gegenteil zu vermuten, und mir bereite es wirklich Schaden. Denn ebenso, wie es mir Freunde entfremde, suchten sich mir Fremde in seinem Zeichen zu Freunden zu machen. Am allerwenigsten gefalle mir der Zustand der Sprachlosigkeit, in den die an dem Buch beteiligten Parteien eingetreten seien.
    Auch die Ideenberatung ging erst einmal in den Zustand der Sprachlosigkeit über. Zusammenkünfte solcher Natur waren gedacht, Erfolge zu benennen und nicht Hindernisse. Schon gar nicht Hindernisse, die der Veranstalter selber errichtet hatte. Er wollte nur zeigen, dass er noch da sei. Und weil die Abgesandten Honeckers an eben diesem Nachweis wenig interessiert waren, gefiel ihnen mein Beitrag zu Ulbrichts Wiederbelebung nicht. Bei so widerstreitenden Ideen schien guter Rat teuer, also flüsterte Otto Gotsche, Sekretär des Staatsrats und Autor dazu, dem Vorsitzenden des Staatsrats etwas ins Ohr, und dieser verkündete eine Pause.
    Der Vorraum des Versammlungssaales war auch ein Saal, der riesige Teil des riesigen Treppenhauses im Staatsratsgebäude; die Ideenberater verloren sich fast in ihm. An der linken Fensterseite drängten sich Künstlerkollegen im erregten Gespräch, an der rechten Fensterseite standen verknurrte Abgesandte des Politbüros mit ihren Mitarbeitern, in der Tür zwischen Saal und Flur besprach sich Ulbricht mit Gotsche, und von allen weit entfernt in der Ecke am Aufzug hatte ich Aufstellung genommen. Noch einmal das Arrangement der Hager-Runde, mit der die Impressum-Zeit begann: Der Sünder allein, wahrscheinlich stank er; Sympathie erreichte ihn allenfalls per Blick. –
    Ulbricht und Gotsche setzten sich zur Mitte des großen Raumes in Bewegung, verhielten wieder, es wurde still, Ulbricht sagte etwas, Gotsche trat zurück, Ulbricht schlug einen halben Haken und schritt schwerfällig über die Parkettdiagonale in meine Richtung. Mit einem Handzeichen ermunterte er mich, ihm entgegenzukommen, mit einem anderen schien er die Ideenberater von uns fernzuhalten. Er trat ganz nahe an mich heran, besah mein Parteiabzeichen, als habe er ein solches exotisches Ding noch nie gesehen, und sprach zu mir in seinem allbekannten und dennoch unglaublichen Sächsisch: »Jawohl, Herr Kant!«
    Der Vorsitzende des Staatsrats der Deutschen Demokratischen Republik, von dem ich ein erlösendes oder wenigstens erklärendes Wort in Sachen »Impressum« erwartete, sah mich lange an, als prüfe er, wie weit er sich mir anvertrauen dürfe, und dann fragte er: »Wissen Sie, warum die Freunde mit uns kooperieren?«
    Womöglich hätte ich unter anderen Umständen Vermutungen äußern können, aber das Thema, warum die Sowjetunion mit der DDR in Kooperationsverbindungen stand, wurde mit keiner Silbe in der Ideenberatung berührt, und ich war wohl auch zu sehr auf meinen Gegenstand fixiert. So sagte ich, nein, das wisse ich nicht.
    Der Genosse, der nun schon so lange mein führender Genosse auch in Fragen der deutsch-sowjetischen Freundschaft war, rückte mir noch ein Stückchen näher, lächelte listig und sagte sehr

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