Walter Ulbricht (German Edition)
seinen Verlag, Erwin Strittmatter und – Ende.
»Ja, ja«, hörte er jetzt Walter Ulbricht sagen, »beruhigen Sie sich, ja? Ich habe bereits mit dem Genossen Gysi vereinbart, nun endlich Nägel mit Köpfen zu machen, das Manuskript Ihres Romans auf Herz und Nieren zu prüfen, und zwar so, dass es nicht beschädigt wird, und ihm die Druckerlaubnis zu erteilen. Einverstanden?«
Was sollte er sonst sein!
Die Beratung im Staatsrat verfehlte noch lange nicht ihre Wirkung auf Achim Steinhauers Denken und Tun. Er hatte sich bestätigt gefühlt, und so wuchsen in ihm, wie wir glaubten beobachten zu können, neue Kräfte, die sein schöpferisches Handeln beflügelten. Sowohl in der Forschung, beim Durchsuchen der Materie nach ihren Ursprüngen, im Aufspüren der verborgensten DNA-Strukturen, als auch im Entdecken der geheimsten zwischenmenschlichen Beziehungen mit dem Ziel, sie durch Dichtung erkennbar zu machen. Zwanzig Jahre hatte es gebraucht, vom Talgrund am Berge der Universität Leipzig bis auf die Gipfel der Wissenschaft und der Literatur, dass er nun von sich sagen konnte: Was ich gewagt hab mit Sinnen, das hab ich gebracht.
In dieser Stimmung, wir erinnern uns, war er über die Autobahn getanzt, schneller, schneller und schneller, und hatte doch wieder Boden unter die Füße bekommen wollen, bei der Mutter, in seinem Elternhaus, in der Ortschaft, aus der er aufgebrochen war, um sich Welt in die Seele zu holen, und stets mit dem Versprechen hinter der Stirn und dem Mut des kleinen, faustgroßen Muskels in der Brust, niemals, nie seine Herkunft zu vergessen.
29 Piophiliden sind sogenannte Käsefliegen, der Forschungsgegenstand des Helden Achim Steinhauer.
30 Neue Deutsche Literatur ( NDL ), seit 1952 monatlich erscheinende und vom Schriftstellerverband der DDR herausgegebene Literaturzeitschrift mit einer Auflage zwischen 8.000 und 10.000 Exemplaren, neben Sinn und Form ein wichtiges Verständigungs- und Publikationsorgan der Kulturschaffenden der DDR .
Hermann Kant
Eine seltsame Begegnung
Hermann Kant, Jahrgang 1926, Elektrikerlehre in Parchim, polnische Kriegsgefangenschaft, Besuch der Antifa-Schule, Rückkehr in die DDR 1949. Abitur an der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät Greifswald 1952, Germanistitk-Studium an der Humboldt-Universität von 1952 bis 1956. Nach einer Tätigkeit als Chefredakteur einer Studentenzeitschrift freiberuflicher Autor. Zwischen 1974 und 1979 war er Mitglied der SED-Bezirksleitung Berlin, von 1981 bis 1990 Abgeordneter der Volkskammer der DDR, 1986 bis 1989 Mitglied des ZK der SED. Von 1978 bis 1990 Präsident des Schriftstellerverbandes der DDR. Er trat 1992 aus der Akademie der Künste, der er seit 1978 angehörte, und aus dem PEN (seit 1964) aus. Zweifacher Nationalpreisträger der DDR.
A nders als Peter Hacks (der vielleicht nur seinen Spaß dabei hatte) konnte ich mit Walter Ulbricht wenig anfangen. Er war einfach da, als ich aus dem Krieg kam. Für das sozialistische Gemüt hatten wir Pieck, für die höhere Rhetorik gab es Grotewohl, und Ulbricht hielt den Apparat in Gang. Für mich war er eine unbehagliche Respektsperson, und als führender Genosse kaum vermeidbar. Zwar hatte einer wie Adenauer einen wie ihn wohl verdient, aber ich sah nicht, warum auch die Verfechter seiner sozialistischen Sache ihn fürchten mussten. Doch darauf läuft es hinaus, wenn ich mein Verhältnis zu ihm benennen soll.
Dass es anders gehen konnte zwischen Oben und Unten hatte ich in der Gefangenschaft erfahren. Mein Gott, wie sind unsere polnisch-jüdisch-kommunistischen Lehrerinnen und ihr deutscher Partner mit uns umgegangen! Streng, ja, unerbittlich manchmal, aber auf Heilung und nicht auf Zerstörung bedacht. Auf diese Menschen, die Edda Tennenbam und Justyna Sierp und Karl Wloch hießen, folgte ein Vorgesetzter, von dem man wusste, dass er den mächtigsten aller Vorgesetzten hatte. Nein, Wohlsein kam nicht auf, wenn der Erste Sekretär, der Generalsekretär oder Staatsratsvorsitzende gerufen hatte. Selbst dann, wenn ein erfreuliches Ergebnis nicht völlig ausgeschlossen war.
In einem Buch, das »Abspann« heißt, habe ich vor mehr als zwanzig Jahren einen Vorgang beschrieben, der es verdient, im gegebenen Zusammenhang noch einmal vorgeführt zu werden: Walter Ulbricht, Staatsratsvorsitzender noch und Generalsekretär der Partei schon nicht mehr, lud zu etwas ein, das einen neuartigen Namen trug und auch sonst nicht dem entsprach, was man an diesem Manne kannte – nach all den wegweisenden
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