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Walter Ulbricht (German Edition)

Walter Ulbricht (German Edition)

Titel: Walter Ulbricht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Egon Krenz (Hrsg.)
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ließe, ein demokratischer Rechtsstaat zu sein.
    Im Westen wurde, wie nicht anders zu erwarten, abgewiegelt.
    Ende 1965 kam aus dem Bezirk Halle eine Meldung. Ein Mann hatte auf dem Dachboden seines Hauses im Nachlass seiner Eltern etliche Dokumente gefunden, aus denen hervorging, dass ein Oberingenieur Heinrich Lübke 1944 verantwortlich war für den Bau unterinterirdischer Produktionsstätten im Rahmen des »Jägerprogramms«. In stillgelegten Salzschächten sollten Flugzeugrümpfe bombensicher produziert werden. In einem Protokoll vom 5. September 1944 waren sowohl die Anwesenheit des Dipl.-Ingenieurs Lübke als auch sein Auftrag fixiert worden: »Festgelegt wurde, dass das Lager unterteilt wird für a) 1.000 KZ-Männer, b) 1.000 KZ-Frauen, c) 500 Ausländer. Eine Holzbaracke war bereits erstellt, drei weitere werden im Laufe der Woche stehen.« Norden bot Bonn neuerlich Akteneinsicht an. Von dort kam umgehend eine Absage. Im September 1967 ersuchte jedoch die Bayerische Staatskanzlei per Fernschreiben beim Präsidium der Berliner Volkspolizei um die Lübke-Dokumente. Im Büro Albert Norden war man sich unschlüssig: War das Interesse echt, oder handelte es sich um eine Provokation? Ich erhielt den Auftrag, nach München zu fahren und Kopien der von der Rechtsanwaltskanzlei Friedrich Karl Kaul notariell beglaubigten Lübke-Dokumente zu übergeben. Horst Brasch, Vizepräsident des Nationalrats, überließ mir seinen Dienstwagen, einen Tatra 603.
    Am Grenzübergang forderten mich die Beamten des Bundesgrenzschutzes auf, das Aktenpaket zu öffnen. Ich verweigerte dies mit dem Hinweis auf den Empfänger: »Bayerische Staatskanzlei München«.
    Ich musste einige Zeit warten. Offenkundig wurde hin und her telefoniert, ehe man mir erklärte, ich könne mit dem ungeöffneten Paket weiterfahren.
    In München erregte mein schwarzer Tatra einiges Erstaunen, einen solchen Wagen und mit einem solchen Kennzeichen hatte man dort noch nicht gesehen. Im Sekretariat der Staatskanzlei wurde ich freundlich empfangen, ein Beamter dankte für die Zustellung der erbetenen Sendung. Allerdings hatte er Mühe, mir eine Eingangsbestätigung auszufertigen, denn er weigerte sich hartnäckig, darin die Herkunft »Deutsche Demokratische Republik« unterzubringen, worauf ich ebenso beharrlich bestand. Schließlich einigten wir uns auf die Formel, dass es sich um Dokumente aus dem Bestand des Nationalrates der Nationalen Front des demokratischen Deutschland handelte, und setzen die Berliner Anschrift der DDR-Institution hinzu.
    Die Gründe des bayerischen Ersuchens blieben im Dunkeln, doch wir vermuteten, dass dahinter der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß steckte, seit dem Vorjahr Bundesfinanzminister der Großen Koalition in Bonn. Aus seiner Abneigung gegenüber Heinrich Lübke hatte er kein Hehl gemacht. Vielleicht wollte er sich Munition verschaffen, um ihn »abzuschießen«.
    Für mich war das Resultat der Dienstreise mager, für Norden nicht. Er wähnte nunmehr den Weg frei für einen Prozess vor dem Obersten Gericht der DDR. 1960 hatte man dort gegen den Bundesvertriebenenminister Theodor Oberländer und 1963 gegen Staatssekretär Hans Globke verhandelt und beide in Abwesenheit zu lebenslanger Haftstrafe verurteilt, jetzt sollte der Bundespräsident auf die Anklagebank gesetzt werden.
    Für einen solchen »Schauprozess« – Albert Norden benutzte diesen Begriff offensiv: die Welt sollte zuschauen – brauchten wir allerhöchste Zustimmung. Im Oktober 1967 bat uns Walter Ulbricht zu sich. Er begrüßte uns freundlich. »Ah, der junge Genosse.«
    Albert Norden sprach sich für einen Prozess aus, dann trug ich etwa zwanzig Minuten vor und redet leidenschaftlich über den Wert der aufgefundenen Unterlagen. Ulbricht dankte, überlegte kurz und sprach dann den für uns überraschenden Satz: »Also, Genossen, das lassen wir mal besser!« Und er begründete auch seine Zurückhaltung. Dabei hatte er weniger die Person Lübke im Auge, sondern mehr die mitregierende SPD. Sie müsste sich zwangsläufig und vielleicht gegen ihre Überzeugung schützend vor ihr Staatsoberhaupt stellen, wenn aus der DDR auf dieses juristisch gefeuert würde. Das gebiete die Staatsräson. Auf diese Weise aber würden wir auch Vizekanzler Willy Brandt und die Partei beschädigen, was er nicht gutheißen könne. Deshalb schien es ihm politisch vernünftiger, kein Verfahren wie bei Globke und Oberländer zu führen. »Macht eine neue Auflage des Braunbuches und

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