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Walter Ulbricht (German Edition)

Walter Ulbricht (German Edition)

Titel: Walter Ulbricht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Egon Krenz (Hrsg.)
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Beschluss des Ministerrates gebildet worden und sollte als staatliche Institution alle mit der Vorbereitung der Wiedervereinigung und dem Abschluss eines Friedensvertrages zusammenhängenden Fragen behandeln. Dieser Ausschuss sei aufgelöst, sagte Dengler, aber sein Archiv und mehrere Mitarbeiter stünden nunmehr dem Westbereich des Nationalrates zur Verfügung. Dort solle ich künftig mitwirken.
    Das Angebot war in mehrfacher Hinsicht verlockend und bedurfte keiner Bedenkzeit. Doch ich wollte wissen, wie man ausgerechnet auf mich gekommen sei? Albert Norden reagierte darauf. »Im RIAS gibt es die Sendung ›Aus der Zone für die Zone‹, und die zitieren immer den Impuls als kritisches Organ. Da dachten wir, dass an dem Redakteur etwas dran sein muss!«
    Die für Agitation zuständige Verantwortliche in der SED-Kreisleitung Lichtenberg hatte mich dafür wiederholt abgemahnt. Hier sah man das offenkundig anders.
    Am neuen Arbeitsplatz Nationalrat stand seit Jahresbeginn 1962 für sämtliche Mitarbeiter ein Großeinsatz an: Vorbereitung des Nationalkongresses am 16./17. Juni in Berlin. Walter Ulbricht hatte diesen Termin bewusst gewählt – in der BRD und der Weststadt Berlin war der 17. Juni Staatsfeiertag. Die DDR wollte, anders als dort, keine Tränen vergießen, sondern demonstrativ über die Perspektiven der deutsch-deutschen Beziehungen reden.
    Im Nationalrat listeten wir nochmals Fakten über diese Problematik auf. Das war die Fortsetzung der sowjetischen und der DDR-Angebote in den letzten zehn Jahren:
• 10. März 1952: Vorschlag der UdSSR mit einem Friedensvertrag-Entwurf für ein souveränes, neutrales einheitliches Deutschland;
• 3. Februar 1954: Angebot der DDR an die BRD, in beiden deutschen Staaten eine Volksabstimmung über den Generalvertrag zu einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) oder einen Friedensvertrag abzuhalten;
• 4. September 1958: DDR-Appell an die vier Siegermächte, Friedensvertragsverhandlungen unter Einbeziehung von BRD und DDR zu führen;
• 10. November 1958: sowjetische Deutschland-Vorschläge über einen Friedensvertrag und die Regelung der Westberlin-Problematik;
• 4. August 1961: Vorschlag des Magistrats von Groß-Berlin an den Senat von Berlin/West zur Regelung der Grenzgänger-Frage;
• 23. August 1961: Eröffnung von Passierscheinstellen auf den S-Bahnhöfen Zoologischer Garten/Charlottenburg (Hoheitsgebiet der DDR-Reichsbahn), die wenig später von der Polizei Berlin/West widerrechtlich geschlossen wurden.
    Im Vorfeld des Nationalkongresses beriet die 15. Tagung des ZK der SED vom 21. bis 23. März 1962 das Dokument »Die geschichtliche Aufgabe der DDR und die Zukunft Deutschlands«, das anschließend dem Nationalrat übergeben wurde. Dieser übernahm den Text als Entwurf und publizierte ihn republikweit. Alle Ausschüsse waren aufgefordert, auf örtlicher Ebene mit den Bürgern darüber zu diskutieren und Änderungsvorschläge aufzunehmen. Zugleich wandte sich der Nationalrat an alle Bürger der Bundesrepublik und Westberlins, sich an der Debatte zu beteiligen.
    Wir Mitarbeiter waren verantwortlich für den Ablauf der Tagung – sie fand im Festsaal des Hauses der Ministerien am 25. März statt. Dort erlebte ich erstmals Walter Ulbricht persönlich. Seine Rede war emotional geprägt. Er wandte sich darin »an alle Bürger der Deutschen Demokratischen Republik! An die ganze deutsche Nation!« und skizzierte prägnant den Lauf der deutschen Geschichte seit Beginn der organisierten Arbeiterbewegung. Den Schwerpunkt aber legte Ulbricht auf die Chancen nach der Zerschlagung des Faschismus, die nicht genutzt worden waren.
    Gleichwohl hielt er an der Einheit Deutschlands fest, die für ihn aber nur sozialistisch sein konnte. Ulbricht verwies auf den Text des Nationaldokuments. »Unser Ziel ist es, den Frieden zu erhalten, die Geschicke der Nation zum Guten zu wenden und das ganze Deutschland zu neuer Blüte zu führen.«
    Mich überraschte, dass Walter Ulbricht sich dabei auf Goethe berief und aus dem »Faust« zitierte: »Solch ein Gewimmel möcht’ ich sehn, auf freiem Grund mit freiem Volke stehn! Zum Augenblicke dürft ich sagen: Verweile doch, du bist so schön! … Im Vorgefühl von solchem hohen Glück, genieß ich jetzt den höchsten Augenblick.«
    »Der Sieg des Sozialismus in der Deutschen Demokratischen Republik und die Vereinigung des ganzen deutschen Volkes in einem einheitlichen, friedliebenden, demokratischen und sozialistischen Staat wird

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