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Walter Ulbricht (German Edition)

Walter Ulbricht (German Edition)

Titel: Walter Ulbricht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Egon Krenz (Hrsg.)
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und die Anerkennung der Grenzen in Europa. Vieles, was Ulbricht schon 1968 konstruktiv gedacht und vorgebracht hat, wurde später Wirklichkeit. So im Grundlagenvertrag 1972.
    Irgendwann drehte sich somit mein Monsterbild; der hässliche Frosch, als der mir Ulbricht durch meine Schule, meine SPD, meine Medienlektüre ausgemalt war, stieg zwar nicht in einen Prinzen, aber zu einem Menschen. Der Dämon kippte. Und zwar zu einem eigenwilligen Staatsmann, dessen Fragestellungen mich extrem interessierten.
    Dass er am 16./17. Juni 1953 das Angebot Brechts ausschlug, tumbe SED-Indoktrination durch Straßen- und Radio-Kunst des Berliner Ensembles zu ersetzen, um so einen bedeutenderen Dialog mit den Unzufriedenen anzuzetteln, hat mir Ulbrichts Kulturkonzept zwar sicherlich nicht näher gebracht (das DDR-Radio dudelte ganztägig Operettenmusik, während die Panzer rollten, die Brecht begrüßte).
    Ulbrichts anfängliche Litaneien gegen Beatles und »westlich dekadentes Auseinander-Tanzen« auch nicht.
    Aber immerhin: Brecht hatte sich (freiwillig und gegen andere Angebote) für Ost-Berlin entschieden. Und das bedeutendste Theater Europas konnte am Schiffbauerdamm arbeiten (sogar mit einem von Hanns Eisler geförderten Regieassistenten Wolf Biermann) und in politischer Enklave sogar allerlei Politbüro-Plattitüden überstehen – auch Ulbricht sei Dank.
    Später stand der Mauerbau zwischen ihm und meinen Genossen. Eigentlich war es dann ausgerechnet Franz Josef Strauß, der mit seinen Memoiren ein Dämonbild des Kalten Krieges zum Kippen brachte. Dieser Einpeitscher des Kalten Kriegs bemerkt in seinen Memoiren, dass der Bau der Mauer »die Weltlage entspannt«, d. h. von der Gefahr befreit habe, »die stalinistischen Bürokratien im Osten könnten die Kontrolle über die Arbeiterklasse verlieren und militärische Intervention der Westmächte damit notwendig werden«. Nachdem Strauß dort die wachsende Kriegsgefahr und sogar (ich rieb mir die Augen zweimal) die von der NATO entwickelten Pläne eines Atombombenabwurfs über der DDR erläutert hat, schreibt er: »Mit dem Bau der Mauer war die Krise, wenn auch in einer für die Deutschen unerfreulichen Weise, nicht nur aufgehoben, sondern eigentlich auch abgeschlossen.« 31
    Und mit Strauß’ Memoiren stellten sich dann viele kaum offen aussprechbare Fragen. Auch nach der Atomkriegsgefahr über uns Kindern, damals, als wir gerade einmal die 4. oder 5. Schulklasse besuchten.
    Ich habe zu diesem merkwürdigen Mann Walter Ulbricht also mein Verhältnis gründlich umjustieren müssen, kann ergo aus dieser Posthum-Begegnung anderen Wessis nur raten: Stöbert mehr! Über Ulbricht und diese Zeit. Mit den Fragemethoden des »lesenden Arbeiters«.
    Damit die ganze Geschichte nicht mehr den Schreibsöldnern des Kapitals gehört.

    31 Franz Josef Strauß: Erinnerungen, Berlin 1989, S. 390

Norbert Podewin
    Ulbricht wünschte keinen Prozess gegen den Bundespräsidenten
    Norbert Podewin, Jahrgang 1935, Mechanikerlehre im VEB Narva, später dort und danach im VEB Elektroprojekt Betriebszeitungsredakteur, Fernstudium an der Humboldt-Universität, 1965 Abschluss als Diplomhistoriker. Seit 1962 tätig beim Nationalrat der Nationalen Front und Mitautor des 1965 erstmals erschienenen »Braunbuchs der Nazi- und Kriegsverbrecher in der BRD und in Westberlin«. Persönlicher Referent beim stellvertretenden Staatsratsvorsitzenden Friedrich Ebert von 1971 bis zum Tode Ulbrichts 1973 und der Wahl Willi Stophs zum Staatsratsvorsitzenden. 1974 Sekretär für internationale Beziehungen im Nationalrat der Nationalen Front, von 1980 bis 1989 Mitglied des Präsidiums. Seit 1990 als Publizist aktiv.
    E nde des Jahres 1961 erreichte mich eine Einladung des Nationalrates der Nationalen Front des demokratischen Deutschland. Ich solle zu einem Gespräch kommen. Meine Verbindung mit der Nationalen Front beschränkte sich bis dahin darauf, dass ich bei Wahlen deren Kandidaten wählte. Im Gebäude des Nationalrats, bis zum Untergang des »Dritten Reiches« Amtssitz des NS-Propagandaministers Joseph Goebbels, empfing mich Gerhard Dengler. Er stellte sich als Verantwortlicher des im Aufbau befindlichen Westbereichs im Nationalrat vor. Den zweiten Teilnehmer stellte er knapp so vor: »Den Genossen Albert Norden kennst du ja wohl.«
    Ich kannte seinen Namen aus den Medien und wusste von ihm, dass er ein unerbittlichen Nazi-Jäger und für den »Ausschuss für deutsche Einheit« zuständig war. Das Gremium war 1954 auf

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