Walter Ulbricht (German Edition)
Absperrungen.« 17
Bahr nährt auch den Verdacht einer Inszenierung mit dem Satz: »Was immer man über die DDR denkt, wenn die absperren wollen, können sie das.« Es hieß, die »Willy-Rufer« seien von Personen aus der SED-Führung bestellt worden, um insbesondere Moskau zu zeigen, dass »der Alte« die Sache nicht mehr im Griff habe und sich zudem mit seiner Westpolitik aufs Glatteis begebe, weshalb er wegmüsse.
Von solchen Spekulationen hörte ich auch, aber dafür habe ich keine Anhaltspunkte. Ich habe am Vorabend des Treffens mit dem 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Alois Bräutigam und allen für die Absicherung des Bahnhofvorplatzes Verantwortlichen die Sicherheitslage detailliert durchgesprochen. Da war alles klar, es schien alles sicher. Im Nachgang muss ich sagen: Alle Beteiligten haben den Andrang unterschätzt und nicht mit Hunderten Brandt-Fans gerechnet. Die Bilder waren dann schon längst in alle Welt gegangen, ehe die Parteischüler auf den Platz gebracht wurden, um unseren Willi zu bejubeln.
Hat Ulbricht in deinem Beisein jemals dezidiert über die Mitgliedschaft in Militärbündnissen gesprochen?
Nein, wobei er das natürlich immer im Blick hatte, weil er sich als Politiker verstand, der Verantwortung für ganz Deutschland wahrnahm und im Interesse der gesamten deutschen Nation handelte. In diesem Punkte unterschied er sich gravierend von Adenauer, der wollte das halbe Deutschland ganz statt das ganze Deutschland halb. Am Ende seines aktiven politischen Wirkens aber wurde Ulbricht bewusst, dass die Klassenkampfsituation sich nicht so entwickelte hatte, wie er es erhofft hatte. Ein sozial gerechtes, demokratisches, ein sozialistisches Gesamtdeutschland war unter den existierenden Umständen – national wie international – nicht möglich. Als er es sich eingestand, hat er resigniert – das war kurz bevor er abgeschoben wurde.
Woran machst du das fest? Gab es Äußerungen von ihm? Oder war es eine Empfindung von dir?
Eine Empfindung, die sich aus Gesprächen ergab. Als Botschafter begrüßte ich in Rumänien wiederholt Horst Sindermann und Werner Lamberz, mit denen ich ein sehr gutes Verhältnis hatte. Sie sagten auch, dass sie sich schämten, Ulbricht so beiseite geschoben zu haben.
Wen machten sie dafür verantwortlich?
Moskau.
12 Gerhard Kegel (1907-1989), KPD 1931, als Auslandskorrespondent in Warschau 1933 von der sowjetischen Militäraufklärung GRU angeworben. Von 1945 bis 1949 Chefredakteur der Berliner Zeitung, danach Stellvertretender Chefredakteur des Neuen Deutschland . Von 1955 bis 1972 außenpolitischer Berater von Walter Ulbricht. 1959 nahm er als Gesandter an der Genfer Außenministerkonferenz der Großmächte teil. 1967 bis 1971 Kandidat des ZK der SED , von 1973 bis 1976 Botschafter und Leiter der Ständigen Vertretung der DDR bei der UNO in Genf.
13 Wie dies gemeint war, ist in dem 1969 im Staatsverlag erschienenen Band 1 »Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik. Dokumente. Kommentar«, herausgegeben von Klaus Sorgenicht, Wolfgang Weichelt, Tord Riemann und Hans-Joachim Semler, nachzulesen. Im Kommentar zu Artikel 1 der Verfassung und der Formulierung »sozialistischer Staat deutscher Nation« heißt es dort: »Damit ist verfassungsrechtlich verankert, dass der über ein Jahrhundert währende revolutionäre Kampf der deutschen Arbeiterklasse gegen die imperialistische deutsche Großbourgeoisie und das mit ihr verbündete Junkertum in der DDR zum Siege geführt hat und ein Teil der Nation, befreit von der Unterdrückung und Ausbeutung durch das Kapital, den Weg in die Zukunft der gesamten deutschen Nation bereits erfolgreich beschreitet. Unter Führung ihrer marxistisch-leninistischen Partei hat die Arbeiterklasse gemeinsam mit ihren Verbündeten auf dem Boden der Deutschen Demokratischen Republik nach der Zerschlagung des Hitlerfaschismus die Wurzeln von Nazismus und Imperialismus ausgerottet und sich ihre eigene Staatsmacht geschaffen.« Da die einzelnen Kommentare namentlich nicht gekennzeichnet sind, müssen alle Personen des aufgeführten Autorenkollektivs angeführt werden: Reiner Arlt, Herbert Edeling, Gerd Egler, Dieter Heinze, Klaus Heuer, Uwe-Jens Heuer, Gerhard Kegel, Helmut Koziolek, Walter Krutzsch, Frithjof Kunz, Lothar Oppermann, Eberhard Poppe, Tord Riemann, Heinz Schmidt, Gerhard Schüßler, Hans-Joachim Semler, Klaus Sorgenicht, Hans Voß und Wolfgang Weichelt.
14 In den 2013 von Egon Bahr veröffentlichten Buch »Das musst du
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