Walter Ulbricht (German Edition)
im Politbüro nach Stalins Tod 1953 und nach dem XX. Parteitag 1956 war?
Nach Stalins Tod wurde nicht groß diskutiert. Es war eine Tatsache, auf die man vorbereitet war. Kein Zeichen von tiefer Bestürzung und großer Trauer. Anders nach dem XX. Parteitag. Ich hatte den Eindruck, dass man etwas enttäuscht war. Man hatte mehr erwartet: tiefere Analysen, gründlichere Untersuchungen gesellschaftlicher Zusammenhänge. Chruschtschow schrieb nun alles Stalin und dem Personenkult zu, und damit hatte es sich. Die Genossen, die in den 30er, 40er Jahren in Moskau lebten, wussten doch, was sich dort zugetragen hatte. In meiner Abteilung arbeitete Mia Niederkirchner 5 , die war in den 30er Jahren als Staatenlose aus Deutschland ausgewiesen worden und nach Moskau gegangen. Sie sprach auch nur in Andeutungen, was damals in der Sowjetunion geschah. Also mir schien, dass unsere Genossen sich mehr erwartet hatten als nur die Schuldzuweisung an Stalins Adresse.
1953 soll es im Politbüro Auseinandersetzungen gegeben haben, ob Walter geht oder in der Funktion bleibt. Hermann Matern und Erich Honecker, so hat es mir jedenfalls Erich erzählt, hätten für Walter Ulbricht gekämpft und sich durchgesetzt. Hast du davon etwas bemerkt?
Da saß ich im Vorzimmer und habe nur Wortfetzen gehört. Bei dieser Sitzung war, wenn ich mich richtig erinnere, auch Semjonow dabei. Plötzlich kam Fred Oelßner zu mir, sagte, hol mal schnell eine Schreibmaschine. Er hatte ein Blatt mit russischer Schrift. Er diktierte mir seine Übersetzung. Das waren Vorschläge der KPdSU. Wie ich hörte, hatte man unserer Delegation in Moskau mitgeteilt, dass der Aufbau des Sozialismus ein Fehler gewesen sein soll. Das war die Berija-Linie, die einige Monate später wieder korrigiert wurde. Ich machte so viele Durchschläge wie möglich. Die hat dann Fred im Politbüro verteilt.
Der von dir getippte Text lag dann in der in Leder gebundenen Mappe, die Honecker im Februar 1989 den Politbüromitgliedern zur Information gab. Da stand nur drauf: »Dokumente«. Zuoberst lag dieser Beschluss der KPdSU vom Juni 1953. Die Moskauer Führung hatte am 3. und 4. Juni Ulbricht, Grotewohl und Oelßner (Pieck konnte nicht teilnehmen, weil er krank war) einbestellt, um ihnen zu sagen, was die deutschen Genossen alles falsch gemacht hätten. Vergessen war plötzlich, dass das Politbüro des ZK der KPdSU noch unter Stalins Leitung am 8. Juli 1952 den Aufbau des Sozialismus in der DDR bestätigt hatte, der anschließend auf der 2. Parteikonferenz in Berlin beschlossen worden war. Die Moskauer Beratung vom 3./4. Juni hat im SED-Politbüro zu heftigen Reaktion geführt.
Das habe ich gehört. Die Sitzung fand auch nicht wie sonst im Zimmer von Wilhelm Pieck statt, sondern unten im Saal, und ich saß wieder im Vorraum. Diese Sitzung ging sehr lang.
1953 wurden Zaisser und Herrnstadt 6 aus dem Politbüro entfernt. Was waren das nach deiner Wahrnehmung für Menschen?
Sie hatten nach meiner Beobachtung keinen großen Einfluss. Walter Ulbricht hat Zaisser wiederholt gegenüber Dritten verteidigt wegen seiner Verdienste im Kampf gegen die Nazis, oder er sagte: Der hat während des Kapp-Putsches 1920 die Rote Ruhrarmee kommandiert und war Ende der 20er Jahre Militärberater der Kuomintang in der Mandschurei, das ist ein Haudegen. Aber Zaisser hatte, wie ich fand, eine unangenehme, herablassende Art. Man kam sich bei ihm immer sehr klein vor. Dieses Gefühl stellte sich bei Walter Ulbricht nie ein: Mit dem sprach man auf gleicher Augenhöhe.
Und Herrnstadt? In der Partei war er kaum bekannt. Und wenn ich mit ihm sprach, glaubte ich, das zwischen uns eine Wand stand. Das war eine unüberbrückbare Distanz, vielleicht auch Dünkel, Anflüge von Arroganz, fast Selbstherrlichkeit. Das erlebte ich später verstärkt auch bei Schirdewan, er hatte sich, wie frühere Vertraute mir sagten, in den 50er Jahren sehr zu seinem Nachteil verändert.
Wo warst du am 17. Juni 1953?
Wir arbeiten noch im alten Haus an der Prenzlauer Allee. Es wurde gerade renoviert. Und am Eingang saß der Betriebsschutz, nicht wie später die Genossen von der Sicherheit. Aber bei uns blieb alles ruhig, das meiste spielte sich ja auf dem Potsdamer Platz, vorm Haus der Ministerien, ab. Wir haben prophylaktisch die Schränke vor die Glastüren am Eingang geschoben. Es passierte jedoch nichts. Dann kamen auch schon die sowjetischen Soldaten.
Wer waren Ulbrichts wichtigste Mitarbeiter im ZK?
Wolfgang Berger, der war für
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