Walter Ulbricht (German Edition)
ökonomische Fragen zuständig. Ein kluger Kopf. Er genoss hohe Autorität im Hause. Und Richard Herber 7 , der langjährige Parteisekretär des ZK-Apparates.
Du hast mit Walter Ulbricht die Tagesordnung fürs Politbüro gemacht?
Ja. Er hat vorgegeben und dann gesagt: Sprich dazu mit dem und dem, besorge noch dazu dieses Papier, na, also die ganzen technische und personellen Vorbereitungen der Sitzung.
Hat er dich gerufen, gab es feste Termine?
Nein, in der Regel rief ich ihn an und fragte, ob ich kommen könne. Dann hat er, sofern es um die Politbürositzung ging, die Tagesordnung bestätigt. Und bevor das Protokoll der vorigen Sitzung im Politbüro verlesen wurde, hat er es sich natürlich ebenfalls angesehen und bestätigt. Er war dabei nicht kleinkariert oder gar pingelig. Das erklärt ja auch, dass die Reinschrift nur selten von der Rohfassung abweicht, d. h. er bestätigte im Wesentlichen, was ich protokolliert hatte. Und dann gab es noch die Anlagen zum Beschlussprotokoll.
Die Sekretariatssitzungen übernahm, nachdem Ulbricht 1960 Staatsratsvorsitzender geworden war, Erich Honecker. Aber die Politbürositzungen leitete er selbst.
Ja. Und ziemlich konzentriert und straff, auch wenn er Diskussionen zuließ und keineswegs unterband. Alfred Neumann und Kurt Hager waren sehr diskutierfreudig. Die Sitzung fing um 10 Uhr an und dauerte zwei, drei Stunden. Selten, das unterbrochen wurde, um eine Mittagspause zu machen.
Hat er Kritik an sich abprallen lassen, war er nachtragend?
Ich brauchte ihn nicht zu kritisiert. Er war auch nicht nachtragend.
In der Dokumentenmappe, die ich bereits erwähnte, war auch ein Papier von Günter Mittag über die ökonomischen Fehler Ulbrichts. Dieser warf Ulbricht vor, er habe anfänglich Dubcek unterstützt und ihn dafür gelobt, dass dieser alle Dogmatiker aus dem Politbüro der KPTsch rausgeworfen habe. Kannst du dich an so etwas erinnern?
Ob Ulbricht so etwas gesagt hat, weiß ich nicht mehr. Aber dass er die Reformbestrebungen in der Tschechoslowakei zunächst mit Sympathie, dann aber zunehmend kritisch begleitete, war doch auch verständlich. Das sowjetische Gesellschaftsmodell musste reformiert werden. Wir hatten dazu das NÖS. Die tschechoslowakischen Genossen hatten das »Manifest der 2000 Worte«, aber kein ordentliches Konzept und wollten alles radikal umgestalten, wobei ihnen die politische Führung entglitt. Das lief aus dem Ruder. Der Westen hat das ausgenutzt, um die CSSR aus dem Bündnis zu brechen. Ulbricht hat wiederholt mit Dubcek darüber diskutiert. Um das Reformkonzept der DDR zu sichern, hat er versucht, ihn zu beeinflussen, ihn zur Besonnenheit zu mahnen. Als alles nicht half, entschieden die Führungen europäischer sozialistischer Staaten die militärische Aktion, an der aber die DDR nicht teilnahm. Das hatte Walter Ulbricht im Gespräch mit Breshnew erreicht.
Welchen Platz in der Geschichte würdest du Ulbricht zuweisen?
Walter Ulbricht hat in einer schwierigen Zeit etwas vollbracht, was kaum ein Zweiter hätte bewältigen können. Er hat den kleineren, schwächeren Teil Deutschlands in zwanzig Jahren zu einem Staat geformt, der auf vielen Feldern anderen Gesellschaften einen historischen Schritt voraus war. Natürlich, er hat das nicht allein bewerkstelligt, sondern Millionen Menschen waren an diesem Aufbauwerk beteiligt. Aber er war der Stratege und der Organisator, er vermochte die Partei und über sie auch die Massen zu mobilisieren und zu inspirieren. Selbstverständlich machte er auch Fehler. Nur wer nichts unternimmt, kann keine Fehler begehen.
Hat sich Walter Ulbricht von seinen Mitarbeiter, also auch von dir, verabschiedet, als er 1971 gehen musste?
Nein. Er war ja für uns auch nicht völlig aus der Welt. Ich traf ihn danach wiederholt in Dölln und an anderen Orten. Er wurde damals auch ein wenig unleidlich. Selbst bei Lotte hat er dann manchmal gestichelt. Nach seinem Tod habe ich sie offiziell weiter betreut. Einmal war sie bei Erich Honecker, da bat er mich hinzu. Das passte ihr nicht. »Muss denn Gisela mit dabei sein?« Darauf sagte er: »Sie muss doch wissen, was du hast.« Da schluckte sie merklich.
War das denn so privatim, was sie von ihm wollte?
Ach wo. Es ging um die von ihr als Zurücksetzung empfundene protokollarische Herabstufung, weil sie ja nun die Witwe des Staatsratsvorsitzenden und nicht mehr – wie heißt das heute? – First Lady war.
Du bist 1986 in Rente gegangen, aus dem Parteiapparat ausgeschieden. Bist du
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