Walter Ulbricht (German Edition)
auch irgendwann aus der Partei ausgetreten?
Nein. Ich glaube, die haben mich nach 1989 nicht gewollt. Nach der Umbenennung zur PDS kam keiner mehr zu mir.
Aber die Polizei und die Staatsanwaltschaft kamen?
Es gab 1991 eine Hausdurchsuchung. Und ich wurde mehrmals vorgeladen zur Zeugenvernehmung. Im Prozess gegen dich war ich, wie du weißt, ebenfalls als Zeugin, es ging um die Grenze, um die Politbüroprotokolle und darum, was ich ihnen versuchte begreiflich zu machen, dass es auch Dinge gab, die überhaupt nicht dokumentiert wurden. Es gab zum Beispiel Umlaufvorlagen mit sensiblen Papieren, die nicht protokolliert wurden. Also wenn beispielsweise Helmut Schmidt an Honecker geschrieben hatte, dann nahmen die Politbüromitglieder den Inhalt des Schreibens zur Kenntnis, aber der Brief wurde nicht ins Protokoll genommen. Oder Aktennotizen von vertraulichen Gesprächen mit Bonner Ministern. Der Chef schrieb darauf »Umlauf Politbüro«, das Papier wurde gelesen und still zu den Akten genommen. Das verstanden die im Gericht aber nicht. Sie konnten doch froh sein, dass das nicht ins Protokoll gekommen war: Manche ihrer Politiker, die nach 1990 kein gutes Haar an Honecker und der DDR ließen, hätten sich in Grund und Boden schämen müssen, wenn publik geworden wäre, was sie Honecker damals Schmeichelhaftes geschrieben hatten. Das haben wir ihnen erspart.
Gisela, du warst eine gute Zeugin in meinem Verfahren.
Warum?
Weil du trotz eines gewaltigen Drucks auf dich die Wahrheit gesagt hast. Du hast dich nicht einschüchtern lassen wie manch anderer, der Angst vor der Bestrafung durch die Justiz hatte. Du warst selbstbewusst und tapfer.
Ich habe geweint. Wenn ich große Ungerechtigkeit empfinde, fühle ich mich hilflos und fange an zu heulen. Das passierte mir nach 1990 häufiger als in den vierzig Jahren davor.
1 Rudolf Thunig (1899-1983), Kaufmannslehre, 1918 Spartakusbund, dann KJVD und KPD , Leiter des Partei-Verlages »Junge Garde« von 1920 bis 1922. Danach, bis 1935, Mitarbeiter im Westeuropäischen Büro der Kommunistischen Jugendinternationale. 1935 verhaftet und zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt, die er im Zuchthaus Brandenburg-Görden (1937-1939 und 1943-1945), im KZ Börgermoor (1939-1941) und im Zuchthaus Sonnenburg (1941-1943) zubrachte. Ab März 1949 leitete er das Büro des Sekretariats des Parteivorstandes bzw. des Zentralkomitees der SED . Von 1952 bis 1975 war er stellvertretender Abteilungsleiter im Büro des Politbüros.
2 Otto Schön (1905-1968), Versicherungs- und Bankangestellter, dann Funktionär des KJVD , der KPD und seit 1930 der Roten Hilfe. Von 1933 bis 1936 Zuchthaus Bautzen, dann KZ Sachsenburg. Nach Entlassung weiter illegal aktiv. 1945 Sekretär der Kreisleitung Leipzig der KPD , von 1947 bis 1952 2. Sekretär der Landesleitung Sachsen der SED , seit 1950 ZK -Mitglied, dann, in der Nachfolge Rudi Thunigs, Leiter des Büros des Politbüros und persönlicher Mitarbeiter Walter Ulbrichts. Mitglied der Volkskammer von 1958 bis 1968.
3 Noel Field (1904-1970), US -Diplomat, Kommunist und Mitarbeiter des sowjetischen Nachrichtendienstes. Als Antifaschist unterstützte er Emigranten in der Schweiz und in Frankreich. 1949 wurde er unter dem Vorwurf der Spionage in Prag verhaftet und in Ungarn verurteilt, auch sein Bruder Hermann, seine Frau und die Adoptivtocher wurden festgenommen. In der Folge fanden inszenierte Schauprozesse statt, in denen namhafte Funktionäre, die mit Field jemals zu tun hatten, zum Tode verurteilt wurden, u. a. Rudolf Slansky, Generalsekretär der KPT sch, Laszló Rajk, Ungarns Außenminister, Ludwig Freund, Berater des tschechoslowakischen Präsidenten und enger Freund Johannes R. Bechers, und Otto Katz (d. h. André Simon), Chef der Presseabteilung des Prager Außenministeriums. Field wurde 1955 aus der Haft entlassen, teilweise rehabilitiert und finanziell entschädigt. Auch seine verhafteten Familienmitglieder wurden entlassen und durften ausreisen. Er selbst lebte bis zu seinem Tod in Ungarn.
4 Edith Baumann (1909-1973), Stenotypistin, Mitglied der Reichsleitung der Jungsozialisten in den 20er Jahren, 1931 Eintritt in die SAPD , im März 1933 Vorstandsmitglied, danach (bis 1936) Haft. 1945 SPD , 1946 FDJ und bis 1949 Stellvertretende Vorsitzende des Jugendverbandes. Von 1949 bis 1953 Mitglied des Sekretariats des ZK der SED , danach, bis 1955, Sekretär der Bezirksleitung Berlin der SED . Von 1958 bis 1963 Kandidat des Politbüros. Edith Baumann war von 1947
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