Walter Ulbricht (German Edition)
1945 kennenlernte und die im KZ oder im Zuchthaus oder in einem sowjetischen Lager waren, haben darüber geschwiegen. Rudi Thunig 1 war der erste Leiter des Büros, dann kam Otto Schön 2 , dem ich in dieser Funktion nachfolgte: Keiner von ihnen hat jemals ein Wort über die illegale Arbeit und die Nazihaft mir gegenüber verloren.
Erich Honecker hat mir einmal gesagt, auch Walter Ulbricht und Wilhelm Pieck hätten mit ihm nie über die Moskauer Jahre gesprochen.
Als ich 1951 im Büro des Sekretariats angefangen habe, schwirrten die Verdächtigungen durch die Partei. Diese Noel-Field-Affäre 3 warf ihre Schatten bis nach Berlin. Das wird wohl auch einer der Gründe gewesen sein: Man schwieg über die Vergangenheit, um sich nicht zu belasten. Man konnte ja nicht wissen, ob einem nicht diese oder jene Bekanntschaft zum Verhängnis werden konnte.
Ich denke aber auch, dass die zwölf Jahre Illegalität sie dazu gezwungen haben, nur das Nötigste zu sagen, was eben für die Arbeit notwendig war. Manche Genossen hat das für ihr Leben geprägt, und sie haben diese Eigenschaft nie mehr abgelegt. Aber zurück zu Walter Ulbricht. Wann bist du ihm zum ersten Mal begegnet?
Am 3. Januar 1951. Ich meldete mich auftragsgemäß im Büro des Sekretariats. Das war aber der Geburtstag von Wilhelm Pieck, des Parteivorsitzenden, alles wirbelte durcheinander, und man nahm an, ich käme zum Gratulieren. Nein, sagte ich, ich soll hier arbeiten. Dann holte mich Rudi Thunig rein, der mich gleich zu Otto Schön brachte, und der meinte, wir müssten zunächst zu Walter Ulbricht gehen. Da habe ich einen Schreck bekommen: Was, zum Generalsekretär? Ulbricht stellte mir einige Fragen, sagte dann aber, meine Unterlagen seien noch nicht da, ich solle erst einmal wieder nach Hause fahren. Ich bekäme Bescheid. Dann aber schien ihm diese Absage ein wenig hart, denn er fragte: Wo kommst du eigentlich her? Ich sagte: aus der Chemitzer Gegend. O, sagte er darauf, ich glaube, zur Geburtstagsfeier heute Abend in Schloss Niederschönhausen sind bestimmt auch einige Genossen von der Wismut geladen. Otto Schön soll mit dir dorthin fahren und fragen, ob die noch Platz im Auto haben.
Das heißt, du warst 1951 auf der Geburtstagsfeier von Präsident Wilhelm Pieck in dessen Residenz?
Ja. Neben mir am Tisch saß einer, der mich fragte, wer ich sei. Ich werde hier arbeiten, sagte ich. Worauf er mit der Bemerkung reagierte, er sei für Wohnungsfragen zuständig, da würden wir uns bestimmt wiedersehen. Das war natürlich der Fall. – Vier Wochen später kriegte ich Bescheid.
Seit 1949 gab es das Politbüro des Parteivorstandes, seit 1950 das Politbüro des ZK der SED. 1951 wurdest du schon stellvertretende Leiterin des Büros des Politbüros. Welche Aufgaben hattest du?
Im Sekretariat protokollierte Edith Baumann 4 die Sitzungen, sie war von Haus aus Sekretärin und nun aber auch politischer Sekretär. Man war der Auffassung, dass beides nicht gehe. Also übernahm ich ihre Aufgabe: die technische Vorbereitung der Sitzungen, das Ausfertigen der Protokolle und deren Verteilung und so weiter. Edith hat mir alles erklärt, was ich zu tun habe. An den Sitzungen des Sekretariats selbst nahm ich zunächst nicht teil. Jeweils einer der Sekretäre diktierte mir im Anschluss die Mitschriften. Aber schon bald nahm ich an den Sitzungen teil und habe selber mitgeschrieben.
Wie sahen die Zusammenkünfte aus? Saßen vorn Pieck, Grotewohl und Ulbricht?
Nein, die Sitzungen des Sekretariats fanden im Arbeitszimmer von Walter Ulbricht statt. Der saß an seinem Schreibtisch, und links und rechts am Tisch davor nahmen die Sekretäre Platz: Franz Dahlem, Fred Oelßner, Otto Schön, Paul Verner, Edith Baumann, Paul Wandel, Willi Stoph … Zweimal in der Woche tagte das Sekretariat bei ihm.
Daran nahmen Politbüromitglieder nicht teil?
Falls sie nicht auch Sekretäre des ZK waren, nein.
Und wo tagte das Politbüro?
Im Arbeitszimmer von Wilhelm Pieck. Dort saßen links Pieck und Grotewohl und rechts Ulbricht. Ich schrieb an einem Tischchen in der Ecke.
Und wer hat die Sitzungen geleitet?
Pieck. Und wenn dieser nicht da war, leitete Grotewohl. Selten Ulbricht. Das Politbüro kam einmal in der Woche zusammen. Aber nachdem sich die Strukturen der DDR entwickelten – Pieck war Präsident, Grotewohl Ministerpräsident, sie hatten viele Verpflichtungen –, übernahm Ulbricht immer häufiger. Die Zusammenkünfte waren dann kürzer. Die Sekretariatssitzungen hingegen dauerten
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