Walter Ulbricht (German Edition)
durch den keineswegs populistischen oder populären Walter Ulbricht noch überragt. Durchaus nicht ohne die Gabe der Schlagfertigkeit, war er indes kein Meister des geschliffenen Wortes, sondern eher Anhänger eines spartanischen Sprech- und Lebensstils. Worthülsen waren ihm ein Graus.
Vieles über Ulbricht erfuhr ich von meinem Vater Peter-Alfons Steiniger. Er war einer der 400 Abgeordneten der Provisorischen Volkskammer, welche die DDR am 7. Oktober 1949 ins Leben rief. Wie etwa Viktor Klemperer gehörte er der Kulturbundfraktion an. Zuvor war er – wie alle anderen an der Staatsgründung Beteiligten – Mitglied des Deutschen Volksrates gewesen und hatte als Sekretär des von Otto Grotewohl geleiteten Verfassungsausschusses bei der Ausarbeitung der ursprünglich für ein einheitliches Deutschland gedachten ersten Konstitution der DDR mit Hand angelegt. Pikant vielleicht: Wesentliche Teile des Textes entstanden in unserer Westberliner Wohnung am Botanischen Garten.
Als Präsident der Deutschen Verwaltungsakademie in Forstzinna, wo die DDR-Leitungskader für die Kreis- und Bezirksebene ausgebildet wurden, hatte mein Vater ständig mit Walter Ulbricht zu tun. Dieser mischte sich – und zwar im durchaus positiven Sinne – als Gesprächspartner, Ratgeber und konstruktiver Kritiker in das Geschehen an »seiner« Akademie ein. Das erfuhr ich von meinem Vater, der am 27. Mai 1980 verstarb und am Pergolenweg der Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde bestattet worden ist.
Den politischen Stil und das Bestreben Walter Ulbrichts, jeglicher Schönfärberei einen Riegel vorzuschieben, habe ich dann auch als Journalist selbst kennengelernt. Zweieinhalb Jahrzehnte war ich leitender Redakteur und Auslandskorrespondent des Neuen Deutschland . Das Zentralorgan der Partei kam oftmals recht schwerfällig daher und war keineswegs immer von professionellem Glanz geprägt. Dennoch spürte man bei der Lektüre stets das sozialistische Anliegen und eine dem Marxismus verpflichtete Ideologie.
Während der als Chefredakteur fähige, später aber zur menschlichen und politischen Charakterlosigkeit eines in der Wolle gefärbten Renegaten verkommene Günter Schabowski selbst aus ZK-Protokollen noch jede kritische Sentenz mit dem Bemerken herausstrich, der Feind kritisiere uns schon genug, da müssten wir es nicht auch noch selber tun, folgte Ulbricht einer absolut konträren Motivation. Er hasste jedes Vertuschen von Missständen. Schwarz blieb für ihn stets schwarz und weiß immer weiß, während Zwischentöne weit weniger seine Sache waren. Ulbricht drängte darauf, dass die Defizite und deren – möglicherweise auch recht hochgestellte – Verursacher ohne Ansehen der Person beim Namen genannt wurden, wobei er bisweilen das Kind mit dem Bade ausschüttete. Damals herrschte in der Partei eine Tendenz zu geradezu grotesker Prüderie. Kurze Zeit nach dem Krieg dominierte bei uns ein ebenso geradliniger wie oftmals rauer Umgangston. An der Humboldt-Universität kolportierte man zu meiner Zeit nicht ganz grundlos folgenden Witz: Der Sekretär der Zentralen Parteileitung trifft den Parteisekretär der Fakultät. »Wieviel Genossen seid ihr?«, will er wissen. »Einhundert«, lautet die Antwort. »Und wieviel davon haben bereits eine Parteistrafe wegen unmoralischen Verhaltens?«
»Achtundneunzig.«
Nach kurzem Zögern: »Mach dir keine Sorgen, Genosse, die beiden erwischen wir auch noch.«
In den Spalten des ND erschienen unter so bedeutenden Chefredakteuren wie Hermann Axen und Rudolf Herrnstadt etliche in die Pressegeschichte der DDR eingegangene Artikel, in denen Klartext geredet und reiner Tisch gemacht wurden. Dabei war den eigenen Genossen Missratenes durchaus kein Tabu. Ein Beispiel: In dem Beitrag »Kollege Zschau und Kollege Brumme« ging es um den Führungsstil eines sehr verdienten und auf Landesebene hoch angesiedelten Genossen, der wegen Unterdrückung von berechtigter Kritik gerügt und in der Funktion herabgestuft wurde. Ein anderer einprägsamer Titel lautete: »Misstöne im Brandenburgischen Konzert.« Er beschäftigte sich mit dem Verhalten Verantwortlicher im Stahlwerk Brandenburg und fand ebenfalls großen Widerhall.
Walter Ulbricht lag wie ein Schießhund auf der Lauer, um Mängeln und Versäumnissen in der Wirtschaft auf die Spur zu kommen. Daraus resultierte eine in die Annalen des alten ND eingegangene Groteske: Den Vorstellungen des Generalsekretärs entsprechend eröffnete die Redaktion
Weitere Kostenlose Bücher