Walter Ulbricht (German Edition)
ausgeschrieben, die Partei war verboten.
Das erklärt ja auch das hohe Maß der Konspiration. Darum ja auch unsere Ladenwohnung mit den drei Ausgängen. Es war wirklich alles gut durchdacht. Die Nazis sind auch nie dahintergekommen.
Du bist doch aber verhaftet worden.
Aber nicht deshalb. Wir hatten in unserer Gruppe einen Verräter. Wir lieferten regelmäßig Texte für die Neuen Deutschen Blätter, eine in Prag verlegte Exilzeitschrift. Und er berichtete über ein Treffen von uns im Grunewald an die Gestapo. Deshalb kam ich 1935 ins Frauengefängnis Barnimstraße, wo ich meinen Roman »Junges Herz muss wandern« schrieb, unpolitische Unterhaltungsliteratur. Das Verfahren wegen Landesverrats endete mit einem Freispruch, sie hatten wirklich nichts gewusst, und meine harmlose Schreiberei in der Zelle wird ein Übriges getan haben.
Wie war denn Ulbricht so?
Auf mich wirkte er irgendwie unnahbar, fast abweisend. Anders als Pieck, der immer freundlich und zuvorkommend war. Ulbricht wirkte stets sehr konzentriert, angestrengt. Gut, er war Reichstagsabgeordneter und Chef des KPD-Bezirks Berlin-Brandenburg-Lausitz-Grenzmark, die Partei war verboten und die politische Arbeit illegal, also höchst gefährlich. Das war nicht die Zeit zum Scherzen. Aber trotzdem. Ihn umgab stets eine Aura der Unnahbarkeit.
Hast du ihn später darauf mal angesprochen?
Wann »später«?
Nach dem Krieg, zu DDR-Zeiten. Du hast doch schließlich den Vaterländischen Verdienstorden in allen drei Stufen bekommen …
Da war er schon tot.
Erlaube, dass ich widerspreche. 1960 gab es den VVO in Bronze. Hat er ihn nicht verliehen?
Nein, ich glaube, den habe ich damals von Ministerpräsident Otto Grotewohl bekommen, nicht von Walter.
Also noch mal gefragt: Hast du jemals über 1933 mit Walter Ulbricht gesprochen?
Nein. Ich habe nach 1933 niemals wieder mit Ulbricht gesprochen. Es hat sich einfach nicht ergeben. Und nun ist er auch schon wieder vierzig Jahre tot und ich bin über hundert.
Heinz Keßler
Ich lernte ihn 1941 im Lager als einen Antifaschisten kennen
Heinz Keßler, Jahrgang 1920, Roter Jungpionier, Mitglied des Kommunistischen Jugendverbandes Deutschlands, Wehrmachtssoldat, 1941 Übertritt zur Sowjetarmee, vom Reichskriegsgericht zum Tode verurteilt. Das Urteil ist bis heute nicht aufgehoben. Frontbeauftragter des Nationalkomitees »Freies Deutschland«. Seit dieser Zeit befreundet mit Walter Ulbricht. Mitbegründer der FDJ, Mitglied des Parteivorstandes bzw. des Zentralkomitees der SED von 1946 bis 1989, Abgeordneter der Volkskammer bis 1990, seit 1986 Mitglied des Politbüros des ZK der SED, führend am Aufbau der Streitkräfte der DDR beteiligt, zuletzt Minister für Nationale Verteidigung der DDR, Armeegeneral.
H einz, mit über neunzig Jahren bist du ein Jahrhundertzeuge. Du kennst Walter Ulbricht aus der sowjetischen Emigration, hast ihn 1943 als Mitbegründer des Nationalkomitees »Freies Deutschland« erlebt, warst als Aktivist der ersten Stunde dabei, als er 1945 das neue Leben in Berlin organisieren half, kennst ihn vom Vereinigungsparteitag, warst mit ihm seit 1946 ununterbrochen im Parteivorstand bzw. im Zentralkomitee der SED und hast ihn als deinen Vorgesetzten im Nationalen Verteidigungsrat der DDR und gleichzeitig als Freund der Familie erlebt. Wenn du ihn in wenigen Worten charakterisieren solltest – was würdest du hervorheben?
Für mich steht er in einer Reihe mit Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, Ernst Thälmann und Wilhelm Pieck. Er war über sechzig Jahre Gewerkschafter und fast ebenso lang Kommunist. Insofern verkörpert er für mich gute Traditionen der deutschen und der internationalen Arbeiterbewegung. Zeitlebens war er ein Lernender, hat sich vom Tischler zum Staatsmann entwickelt, war ein schöpferischer Marxist. Er hatte Charakter. Auf sein Wort war Verlass. Er war ein Mensch mit Stärken, Schwächen und Kanten. Für mich ein Vorbild.
Wann bist du ihm zum ersten Mal begegnet?
Das war im Spätsommer 1941 im Lager 27 in Krasnogorsk 27 Kilometer westlich von Moskau. Mich befragten dort drei Personen. Der eine war Rudolf Lindau 1 , die andere stellte sich als Lotte Kühn vor, und der dritte war Walter Ulbricht. Erstmals seit meiner Desertion aus der Naziwehrmacht in Belorussland vor einigen Wochen traf ich auf deutsche Emigranten. Sie wollten von mir wissen, wie die Stimmung unter den Deutschen sei. Mein Urteil, das sah ich ihnen an, befriedigte sie nicht so richtig, um nicht zu sagen: es missfiel.
Weitere Kostenlose Bücher