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Walter Ulbricht (German Edition)

Walter Ulbricht (German Edition)

Titel: Walter Ulbricht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Egon Krenz (Hrsg.)
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von den etwa 5,7 Millionen kriegsgefangenen Rotarmisten rund 3,3 Millionen systematisch durch Hunger, Seuchen, Ausbeutung und Hinrichtungen zu Tode kamen. Nächst den Juden waren die Rotarmisten die größte Opfergruppe der faschistischen Diktatur. 3
    Wie lange wart ihr unterwegs?
    Nach drei Wochen erreichten wir Karaganda. Unterwegs bekamen wir jeden Tag ein Stück Brot, einen Becher Tee mit einem kleinen Stück Zucker und ab und zu eine kleine Scheibe Speck. Wir fielen aus den Eisenbahnwagen und marschierten mehrere Stunden durch die Steppe. Dann erreichten wir ein winziges Lager. Die Baracken reichten nicht, wir mussten erst weitere bauen. Wir schliefen in der ersten Zeit unter freiem Himmel und spürten die nächtliche Kälte. Die Arbeit war sehr schwer, der Hunger – bei nur 250 Gramm Brot am Tag und ab und zu einer Schüssel dünner Suppe, die kaum sättigte – schmerzte. Es war natürlich nicht leicht, den anderen Gefangenen zu erklären, dass die Russen von den gleichen kleinen Rationen leben mussten. Hinzu kam, dass uns eine Typhuswelle heimsuchte, die auch meinen neuen Freund Franz Gold traf. Ich wurde Brigadier und musste bei der Arbeit für Ordnung und Disziplin sorgen und auch Streit schlichten. Es kam unter den gereizten Kriegsgefangenen zu Schlägereien und Übergriffen sowie Kameradendiebstählen.
    Ende November, der Wind fegte über die Steppe und trieb uns Sand und Schnee ins Gesicht, fiel die Arbeit mit Beil und Säge und unhandlichen Holzpfählen immer schwerer. Wir mussten öfter die Arbeit unterbrechen, um uns aufzuwärmen, und sei es nur dadurch, dass wir die Arme kräftig an den Leib schlugen. Da kam ein Mann auf uns zu, offensichtlich aus dem Stab der Lagerleitung, sicher kein Gefangener, sondern ein Russe oder Emigrant, denn er trug Zivilkleidung: einen dicken Schaffellmantel, eine »Schapka«, die typische Fellmütze, und »Walenki«, die wärmenden Filzstiefel. Ich sagte, dass die Kälte heute besonders schlimm und zermürbend sei. Da warf er mir einen Satz an den Kopf, der mich wütend machte – vermutlich hatte er sich nichts dabei gedacht, vielleicht hielt er ihn für witzig, mich empörte er. Er sagte nämlich: »Wenn ich so langsam arbeiten würde wie du, dann zitterte ich auch vor Frost.«
    Ich schoss zurück: »Hätte ich einen Mantel, eine Schapka und Walenki wie Sie«, ich betonte das »Sie« demonstrativ, »dann würde ich bestimmt auch schneller arbeiten. Und wenn Sie mir nicht mehr zu sagen haben als dies, dann lassen Sie mich in Ruhe!« Gut, gut, wiegelte er ab, entschuldigte sich und lud mich zu sich ins Büro, vielleicht könne man etwas zur Erleichterung der Arbeit unter diesen Bedingungen tun.
    Der Mann hieß Heinz Hoffmann 4 , der sich hier aber »Roth« nannte. Er war ein Kommunist aus Mannheim, der vor Madrid gegen Franco gekämpft hatte und dort schwer verwundet worden war, dann nach Moskau kam, wo er politische Arbeit leistete. Dann hatte man ihn gemeinsam mit einem weiteren Interbrigadisten, Herbert Grünstein 5 , nach Karaganda kommandiert. Wir wurden gute Freunde, viele Jahre war Hoffmann als Verteidigungsminister mein Chef und Vorgänger.
    In der gleichen Zeit, als wir in der kasachischen Steppe unter gewiss schweren Bedingungen das Lager errichteten, wurden auch sowjetische Kriegsgefangene im KZ Sachsenhausen interniert. Im Oktober 1941 testete man an ihnen die ersten Vergasungsautos, und auch Typhus raffte sie in dieser Zeit dahin. Und die, die überlebten, wurden Nacht für Nacht zur Hinrichtung geführt. Bis Mitte November starben allein in Sachsenhausen etwa 18.000 Rotarmisten, davon rund 15.000 durch Genickschuss.
    Hast du in jener schweren Zeit auch Ulbricht wiedergesehen?
    Ja, er kam im Dezember gemeinsam mit Arthur Pieck 6 und Hans Mahle 7 aus Moskau zu uns. Die als Delegation der KPD aus Moskau angekündigte Gruppe wollte schauen, ob es hier Erfahrungen gab, die auch in anderen Lagern genutzt werden konnten, und mit uns Weihnachten feiern. Die große Schwierigkeit, an die niemand zuvor gedacht hatte, war einen Tannenbaum zu bekommen. In Kasachstan, in der weiten Steppe, wuchsen, wenn überhaupt, nur wenige Bäume, allerdings keine Tannenbäume. Ich weiß bis heute nicht, auf welch abenteuerlichen Wegen es dennoch gelang, Tannenbäume zu schaffen. Auf alle Fälle – die Weihnachtsfeier mit Walter Ulbricht in der Steppe fand mit Baum statt.
    Am Ende der Visite wertete Ulbricht gründlich aus. Er befand, dass die hier tätigen Emigranten (Heinz

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