Walter Ulbricht (German Edition)
als Frontbeauftragten des Nationalkomitees »Freies Deutschland« an der Narva-Front zeigt.
Im ersten Halbjahr 1943 war ich bei sehr vielen Fronteinsätzen dabei. Einmal erhielt ich einen Streifschuss, und Franz Gold, der selber krank war und fieberte, schleppte mich mehrere Kilometer weit zum Sanitätsstützpunkt. Von dort brachte man uns nach Moskau. Auf dem Weg dorthin wurden wir verhaftet und fast an die Wand gestellt, weil zwei aufmerksame Partisaninnen bemerkt hatten, dass wir Deutsche waren und uns darum für Spione hielten.
Im Mai/Juni, nach meiner Genesung, setzte man mich im Raum Kursk ein, dann kehrte ich wieder nach Krasnogorsk zurück. Im dortigen Kriegsgefangenenlager 27 schlug Hans Gossens 9 vor, einen nationalen Ausschuss oder ein Komitee zu bilden, welches ein erster Schritt auf dem Weg zu einer deutschen Friedens- und Freiheitsbewegung sein könnte. Diese Idee wurde lebhaft diskutiert und ein »Vorbereitender Ausschuss« ins Leben gerufen, dem neben Erich Weinert vier weitere politische Emigranten und vier Kriegsgefangene (Hadermann, von Kügelgen, Strehsow und Eschborn) angehörten. Der Ausschuss richtete einen Gründungsaufruf an alle deutschen Soldaten und Offiziere in den Kriegsgefangenenlagern der Sowjetunion.
Auf jener Versammlung im Lager 27 in Krasnogorsk hatte auch ich das Wort ergriffen. Ich war 23 Jahre alt und drückte direkt und ungestüm aus, was viele Soldaten inzwischen empfanden: »Hitler wird auch ohne uns geschlagen werden. Aber damit können wir deutschen Patrioten nicht zufrieden sein. Warum? Weil wir wissen, dass diese Bande den Namen des deutschen Volkes mit Dreck besudelt hat und dass nur wir selbst uns von diesem Dreck reinwaschen können. Die Zeit ist gekommen, wo mit großen Reden und Lippenbekenntnissen nichts mehr getan ist. Kameraden, jeder sollte sich überlegen, was der heutige Schritt bedeutet: Kämpfe wird es viele geben, leicht wird es nicht sein. Denn es geht nicht um ein Butterbrot, sondern um Deutschland.«
Am 12. Juli 1943 fand im Klubhaus von Krasnogorsk, im Saal des dortigen Ortssowjet, die Gründungsversammlung der Bewegung »Freies Deutschland« statt. An ihr nahmen dreihundert Delegierte teil – es war also kein verschwiegenes Treffen von Verschwörern, sondern eine Zusammenkunft von sehr selbstbewussten, national gesinnten Männern, die alle auf weitaus größeren Versammlungen in den verschiedenen Kriegsgefangenenlagern vorgeschlagen und ordentlich für diese konstituierende Sitzung gewählt worden waren.
Stimmt. Beteiligt waren auch deutsche Emigranten, die seit fast zehn Jahren in der Sowjetunion lebten und arbeiteten, ehemalige Reichstagsabgeordnete, Partei- und Gewerkschaftsfunktionäre und auffallend viele Schriftsteller und Publizisten. Daneben – und dies war die Mehrheit – saßen die Delegierten der Kriegsgefangenen, die sich zu diesem Schritt entschlossen und ihre antifaschistische Haltung schon mehrfach bewiesen hatten: Soldaten und Offiziere bis zum Major. Die höheren Dienstränge wie Oberste und Generale fehlten. Offenbar herrschten in den Offizierslagern noch sehr stark die alten Hierarchien und ein nationalistisch geprägter Korpsgeist, was manche noch zögern ließ, die eigentlich schon zum Bekenntnis und zur Aktion bereit waren. Sicher mochte auch die Furcht eine Rolle spielen, von den »Roten« vereinnahmt zu werden. Immerhin, drei Beobachter hatten sie entsandt, das Interesse an der Konferenz und ihren Argumenten war vorhanden. Die Berichte vom Verlauf der Konferenz trugen jedenfalls dazu bei, dass einige Wochen später in Jelabuga, nach einer Rede von General von Seydlitz und einer sehr überzeugenden Ansprache des Gefreiten Hans Zippel vom Nationalkomitee der »Bund Deutscher Offiziere« (BDO) gegründet wurde, der sich im September 1943 schließlich mit dem NKFD vereinigte.
Walter Ulbricht wurde in eine Schlüsselfunktion gewählt. Er sollte die operative Leitung führen. Diese fungierte als ein Organ des Geschäftsführenden Ausschusses, der zwischen den Plenartagungen des NKFD die Bewegung vertrat und leitete und dem Plenum rechenschaftspflichtig war.
Über das Nationalkomitee »Freies Deutschland«, sein Wirken als Teil der Antihitlerkoalition in vielen Staaten und die Folgen, ist viel publiziert worden, das muss ich hier nicht wiederholen.
NKFD-Präsident Erich Weinert räumte im November 1945, als das Komitee offiziell aufgelöst wurde, selbstkritisch ein, dass es trotz aller Leistungen das im Gründungsmanifest
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