Walter Ulbricht (German Edition)
fixierte Ziel nicht erreicht hatte. Es sei nicht gelungen, dass sich deutsche Einheiten unter ihren Kommandeuren geschlossen gegen den schon verlorenen Krieg erhoben hätten. Erfolglos die Bemühungen, eine Mehrheit der Bevölkerung zum sichtbaren Protest zu bewegen. Deutschland wurde nicht durch das deutschen Volk befreit, erst die alliierten Armeen hätten in schweren, opferreichen Kämpfen die Nazidiktatur und den Krieg beendet.
Wie lange warst du als Frontbeauftragter des NKFD im Einsatz?
Bis Ende 1944. Nach der Kursker Schlacht musste ich aus gesundheitlichen Gründen aufhören, ich war völlig erschöpft und wurde nach Ljunowo geschickt, in jenes Lager also, in welchem die deutschen Generäle untergebracht waren. Dort traf ich Generalfeldmarschall Paulus, die Generäle Seydlitz, Lattmann und Müller. Wir hatten intensive und wichtige Gespräche.
Als die Offensive der Roten Armee auf Berlin begann, bereiteten wir uns in der Zentrale des Komitees auf die Nachkriegszeit vor. Es fanden in einem verhältnismäßig kleinen Kreis besonders aktiver NKFD-Aktivisten Diskussionen statt. Diese konzentrierten sich auf drei Aufgaben. Eine relativ kleine Gruppe wurde vorbereitet, um in den letzten Kriegsmonaten illegal nach Deutschland zurückzukehren und die Widerstandsgruppen im Lande tatkräftig zu unterstützen. Eine zweite Gruppe beschäftigte sich mit unterschiedlichen Maßnahmeplänen für eine rasche Normalisierung des Lebens bei Kriegsschluss. Und die dritte Gruppe befasste sich mit dem wohl schwierigsten Gebiet – mit der Jugendarbeit in Deutschland. Es galt, die Nazi-Ideologie aus einer ganzen Generation zu tilgen. Denn wie tief diese in die Köpfe eingedrungen war, sah man bei den fanatischen Hitlerjungen im Volkssturm. Mir war schon gesagt worden, dass dies für die nächste Zeit das Hauptfeld meiner Arbeit werden würde.
So erörterte im November 1944 eine Kommission die »Bekämpfung der faschistischen Ideologie« und die »Neugestaltung des Schulwesens«. Geleitet wurde die Kommission von General Korfes, Mitglieder waren unter anderem der Kommunist Johannes R. Becher, der Sozialdemokrat Fritz Rücker, der ehemalige Studienrat Ernst Hadermann, die Journalisten Theo Grandy und Günter Kertzscher. Ich hörte dort erstmals solche Begriffe wie »Konzeption einer demokratischen Schule«, »Erneuerung der Lehrerschaft«, »Neuprofilierung der Hochschulen« und »Berufswettkampf«.
Du bist dann, praktisch im Gefolge der Gruppe Ulbricht, im Mai 1945 nach Berlin geflogen?
Um präzise zu sein: Wir landeten am Abend des 28. Mai in Tempelhof. Wilhelm Pieck hatte uns in Moskau verabschiedet, wir waren die zweite Gruppe deutscher Antifaschisten, die von dort nach Berlin entsandt wurde. Die Gruppe Ulbricht war schon seit vier Wochen vor Ort. Bereits in Moskau war entschieden worden, was jeder von uns zu machen hatte. Ein Teil von uns blieb in Berlin, um sich der Gruppe Ulbricht anzuschließen, ein anderer zog weiter nach Schwerin, und der dritte Trupp machte sich nach Dresden auf den Weg.
Nach der Landung fuhren wir in einem ramponierten Kleinbus zunächst nach Karlshorst, wo die bedingungslose Kapitulation unterzeichnet worden war. Dort hatte jetzt der sowjetische Oberkommandierende in Deutschland, Marschall Georgi Shukow, seinen Sitz. Eingerichtet hatten sich auch die Berliner Stadtkommandantur und zahlreiche andere Dienststellen der sowjetischen Armee.
Wir wurden noch spät am Abend von Walter Ulbricht und Otto Winzer begrüßt, dann teilte man uns die Termine der nächsten Tage mit und wies uns die Adressen zu, wo wir fürs Erste untergebracht werden sollten. Die Quartiere lagen alle in Karlshorst, wo verhältnismäßig viele Häuser vom Krieg verschont geblieben waren. Ich lebe ja unverändert in diesem Kiez, von hier bis zum deutsch-russischen Kapitulationsmuseum sind es nur wenige hundert Meter.
Kannst du dich noch an die Fahrt von Tempelhof nach Karlshorst erinnern?
Natürlich. Es war entsetzlich. Wir fuhren durch eine weite Steinwüste, auf der kein Haus mehr stand, überragt nur von gespenstisch zerklüfteten Ruinen, von Hausskeletten, bedeckt mit Bergen von Schutt, geborstenem Mauerwerk, verkohlten, kaum noch kenntlichen Überresten von Möbeln, Türen, Dielen und den spärlichen Bruchstücken von Öfen, Wannen und Hausrat. Die Bäume waren von den Granaten förmlich zu Stümpfen zerhackt. Und es roch überall nach Tod und Verwesung.
Ulbricht soll dir gleich nach deiner Ankunft gesagt haben, dass du
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