Walter Ulbricht (German Edition)
KJS.
Gibt es eine Begebenheit, eine Episode, in der Ulbrichts Verhältnis zum Nachwuchs für dich besonders deutlich wurde?
Das war Anfang August 1963. Wir hatten dem IV. Deutschen Turn- und Sportfest eine Pionierspartakiade »vorgeschaltet«, und Ulbricht war zu einem Fußballspiel zusammen mit Sir Stanley Rous, dem Präsidenten der FIFA, erschienen. Es war unerträglich heiß, ich sah, wie er sich ständig den Schweiß von der Stirn wischte. Lotte sagte: »Komm, wir gehen besser.« Doch er winkte ab. »Ich habe den Kindern versprochen, dass ich mir das Spiel ansehe. Also bleibe ich auch bis zum Schlusspfiff. «
Hans Modrow
Mit der Jugend auf glattem Eis
Hans Modrow, Jahrgang 1928, in Pommern Lehre als Maschinenschlosser, mit 17 zum Volkssturm verpflichtet. Ohne je einen Schuss abgegeben zu haben, kam er für vier Jahre in sowjetische Kriegsgefangenschaft. 1949 Rückkehr nach Deutschland, FDJ-Funktionär, Besuch der Komsomol-Hochschule in Moskau 1952/53, von 1954 bis 1957 Fernstudium an der Parteihochschule in Berlin und von 1959 bis 1961 an der Hochschule für Ökonomie. Sekretär des FDJ-Zentralrats in den 50er Jahren, dann 1. Sekretär der SED-Kreisleitung Berlin-Köpenick, Sekretär der SED-Bezirksleitung Berlin bis 1971, Leiter der Abteilung Agitation des ZK der SED bis 1973, dann bis 1989 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Dresden. Von November 1989 bis April 1990 Ministerpräsident der DDR. Abgeordneter des Landtags von Mecklenburg-Vorpommern (bis 1952), der Volkskammer (1958-1990), des Deutschen Bundestages (bis 1994) und des Europa-Parlaments (1999-2004). Ehrenvorsitzender der PDS bis zu deren Aufgehen in der Linkspartei 2007.
D ie Volkskammer hatte noch provisorischen Status, als am 8. Februar 1950 das erste Gesetz über Jugend und Sport beschlossen wurde. Die DDR sollte zum Staat der Jugend und des Sports werden. Das mit der Jugend ist uns nie so recht gelungen, das mit dem Sport brachte uns Weltgeltung. Mit 17 Millionen Einwohnern die dritte Stelle im Weltsport einzunehmen war und bleibt einmalig und wird auch mit Walter Ulbricht verbunden bleiben. Als mir 1961 der Titel »Verdienter Meister des Sports« verliehen wurde, war das auch eine Anerkennung für die Berliner FDJ, für unsere Initiative bei der Entwicklung ansprechender Formen des Massensports, worauf Ulbricht mehr Wert legte als die Spitze der DDR-Sportorganisation DTSB. Wenn ich heute die Massenläufe in New York, London und Berlin verfolge, erinnere ich mich noch an den jährlichen Berlin-Lauf der BZ am Abend in den 50er Jahren, an dem Tausende Schüler und Lehrlinge teilnahmen, und an das Tischtennis-Turnier der Tausenden (TTT), das seit 1960 jährlich bis heute ausgetragen wird. Der Olympische Tag der Leichtathletik, 1963 erstmals im Jahn-Sportpark abgehalten, kehrte 2002 dorthin zurück, als das Olympiastadion renoviert wurde. Als Internationales Stadionfest (ISTAF) lebt unser Olympischer Tag weiter.
Die Jugendpolitik der DDR trägt die Handschrift Walter Ulbrichts und wurde auch zu seinem Sturz missbraucht.
1955 drängte er auf einen Wechsel an der Spitze der FDJ, weil der Jugendverband die Masse der Jugend nicht erreichte. Erich Honecker, bis dahin Vorsitzender der FDJ, wurde zum Studium an die Parteihochschule nach Moskau geschickt. Ihm folgte der 29-jährige Karl Namokel nach, ein gelernter Schiffbauer und bis dahin Sekretär für Wirtschaft in der SED-Bezirksleitung Rostock.
1956 fand der XX. Parteitag der KPdSU statt. Nikita S. Chruschtschow entlarvte die Verbrechen Stalins und sprach vom Personenkult. Es war ein Schock für alle, denen die Sowjetunion als Orientierung diente. Offene Fragen, auch Zweifel, drängten sich auf. Unsicherheiten in der Spitze der Partei führten zu Machtkämpfen, die auch im Zusammenhang mit der Jugendpolitik ausgetragen wurden. Aufgrund unterschiedlicher Positionen ergaben sich auch Freiräume für das politische Wirken unter der Jugend. So wurden in Berlin Jugendforen unter dem Motto »Auf jede Frage eine Antwort« organisiert. Einen festen Platz im Podium hatten die FDJ-Bezirksleitung und die Chefredaktion der Zeitung Junge Welt als Veranstalter. Gerhart Eisler, Chef des Staatlichen Rundfunkkomitees, war ebenfalls dabei. Der antwortete einmal auf eine Frage zu seiner Biografie: »Ihr sollt wissen, auch Kommunisten werden als Bettnässer geboren.« Damit wollte er pointiert deutlich machen, dass niemand vollkommen war.
Es gab zwei Foren mit Gerhart Eisler über Jazz. Das Thema war zu jener
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