Walter Ulbricht (German Edition)
Schöpfertum das Privileg einer Elite?«, gemeinsam mit führenden Soziologen der DDR, oder »Ist der Wettbewerb eine Pflichtübung?«, gemeinsam mit dem FDGB. Oder szenische Porträts von Vorreitern der Effektivitätsbewegung unter dem Motto »Bezeugt und protokolliert«. Außerdem die Gesprächsrunde »Sprechstunde Zukunft«, gemeinsam mit dem Fernsehen der DDR.
Und schließlich das Fernsehspiel »Die Unbequemen« aus meiner Feder, das eine breite Diskussion in den Betrieben auslöste.
Es war die produktivste Zeit meines journalistischen Schaffens. Ich verdanke dies nicht zuletzt Anregungen, die ich von Walter Ulbricht bekam.
Günther Jahn
Das NÖS ist Beweis für die Reformfähigkeit des Sozialismus
Günther Jahn, Jahrgang 1930, 1946 FDJ und SED. Nach dem Abitur in Erfurt Ökonomiestudium in Jena und Berlin. Tätigkeit in der Abt. Planung und Finanzen im ZK der SED, zwischenschenzeitlich eine Aspirantur und Promotion zum Dr. rer. oec. mit einer Arbeit zu Wirtschaftsräten und sozialistischer Rekonstruktion in der DDR-Industrie. 1965/66 Leiter der Arbeitsgruppe »Sozialistische Wirtschaftsführung«. 1966 wurde er 2. Sekretär und 1967, als Nachfolger Horst Schumanns, 1. Sekretär des Zentralrats der FDJ (bis 1973). Sein Nachfolger wurde Egon Krenz. Von 1976 bis 1989 1. Sekretär der Bezirksleitung Potsdam der SED. Abgeordneter der Volkskammer von 1967 bis 1990, dem ZK der SED gehörte er von 1967 bis 1989 an.
E in sonniger Werktag im Frühling 1963. Wie gewohnt sitze ich etwas überpünktlich an meinem Schreibtisch im Zimmer des Leiters der Arbeitsgruppe »Sozialistische Wirtschaftsführung« im Zentralkomitee. Das Telefon klingelt, es ist das Sekretariat Ulbricht, ich solle bitte 8 Uhr beim Ersten Sekretär sein. Ich nehme meine Dienstkladde, ein gebundenes Schreibbuch im Din-A4-Format, dessen Benutzung in solchen Fällen Vorschrift ist und als Vertrauliche Verchlusssache (VVS) gilt. Ich eile von der vierten in die zweite Etage. Seine Sekretärin empfängt mich freundlich lächelnd, ein gutes Omen. Sie geleitet mich in seinen Arbeitsraum, vorbei an einem großen Tisch mit etwa 50 Büchern, den aktuellen Neuerscheinungen aller DDR-Verlage. Dann stehe ich erstmals vor ihm: meinem höchsten Chef im zentralen Parteiapparat.
Knappe Begrüßung mit Handschlag. Ich wundere mich, dass mein direkter Vorgesetzter, ZK-Sekretär Günter Mittag 1 , nicht anwesend ist. Also wird das ein Gespräch unter vier Augen.
»Ich habe dich zu mir gebeten«, beginnt Walter Ulbricht, »damit du mich über den Stand des Neuen Ökonomischen Systems informierst und wie es damit weitergehen soll.«
Ich bin erleichtert. Bei diesem Thema stehe ich einigermaßen im Stoff und muss eine Blamage nicht fürchten.
Zunächst berichte ich, dass wir gemeinsam mit der Abteilung Planung und Finanzen eine Vorlage ans Politbüro einreichen werden. Darin schlagen wir die Einberufung einer gemeinsamen Wirtschaftskonferenz des ZK und des Ministerrates vor. Danach sei ein mehrtägiges Seminar mit allen verantwortlichen Wirtschaftskadern der zentralen und der bezirklichen Leitungsebenen in Rostock-Warnemünde vorgesehen. Dieses Seminar solle dann in allen Kreisen Fortsetzung finden. Und demnächst würde ein Zentralinstitut für sozialistische Wirtschaftsführung beim ZK der SED eröffnet, dessen Leitung Prof. Dr. Helmut Koziolek übernehmen wird, ein international anerkannter Wissenschaftler, der sich besonders auf dem Gebiet des Nationaleinkommens einen Namen gemacht habe. Ich wage noch die Anmerkung, dass Genosse Koziolek kürzlich in einem Vortrag vor Parteiaktivisten erklärt habe: »Leider ist bei einigen Leitern der Ideenreichtum beim Bescheißen größer als beim ökonomischen Fortschritt.«
Ulbricht nickt, und ein Lächeln kreist um seinen Spitzbart, als hätte er bei der Erschaffung des Sandmännchens Modell gesessen.
Vermutlich weil ich (und ihm gegenüber überflüssigerweise) die Führungstätigkeit als erstrangigen Faktor überbetone, merkt er an: »Für die Schulung habe die Numerierung der Teilkomplexe aus methodischen Gründen ihre Berechtigung. Das aber ist die Theorie. In der Praxis kommt es darauf an, alle Komplexe gleichzeitig und nicht nacheinander einzuführen. Nur so wird daraus ein ordentlich funktionierendes System. Darin besteht die Führungskunst.«
Im Herbst 1964 findet schließlich das mehrtägige Seminar zum NÖS statt. Die Leitung liegt bei Günter Mittag, für die inhaltliche Gestaltung ist die Arbeitsgruppe
Weitere Kostenlose Bücher