Walzer, Küsse und Intrigen - Michaels, K: Walzer, Küsse und Intrigen
sitzen und nicht ein ärmliches Dasein am Rande der Gesellschaft fristen müssen. Aber willst du das Thema nicht langsam fallen lassen? Du hast gesagt, was du für richtig hieltest, und wie es aussieht, interessiert es keinen.“
Einen Moment überlegte Lucas. Am Vormittag hatte ihn Lord Nigel Frayne, ein Bekannter seines verstorbenen Vaters, aufgesucht. Dann schüttelte er den Kopf und beschloss, es seinem Freund gegenüber lieber nicht zu erwähnen, vor allem nichts davon, was dabei herauskommen mochte, wenn er sich mit dem Mann einließ. Deshalb sagte er nur: „Vielleicht hast du recht. Ich wünschte nur, ich könnte mehr tun.“
Nach kurzem Schweigen meinte Fletcher: „Ich weiß nicht, ob es dir gut bekommen wird, aber wenn du wirklich darauf versessen bist, dich für die Ärmsten einzusetzen, könnte ich dir etwas erzählen …“
Lucas, der noch mit den Gedanken bei seinem Vater war, hob nur eine Braue. „Das klingt unheilvoll.“
Fletcher lehnte sich gegen die Polster der Kutsche. „Als ich zuerst davon hörte, fand ich das nicht. Aber vielleicht hast du mein Herz erweicht? Jedenfalls hörte ich letztens in meinem Klub etwas über unseren lieben Freund Lord Sidmouth.“
„Unser erlauchter Innenminister ist niemandes lieber Freund. Nicht einmal seine Mutter hätte Freude an ihm.“
„Nur zu wahr. Willst du nun wissen, was ich hörte? Denn nach deinem leidenschaftlichen Ausbruch zugunsten des gewöhnlichen Volks bin ich nicht allzu wild darauf, es dir zu sagen. Es war eher vages Gerede, und ich hab nicht alles mitbekommen.“
„Sag schon“, forderte Lucas ihn auf. „Ich verspreche auch, mich in nächster Zeit nicht wieder in leidenschaftliche Reden zu stürzen.“
„Wofür ich dir danke. Also, Folgendes hörte ich: Die Lords Liverpool und Sidmouth haben beschlossen, für neue, härtere Gesetze zu plädieren, um gegen unzufriedene Menschen in diesem Land mit noch strengeren Sanktionen vorgehen zu können. Gegen eben die, die du so kraftvoll in deiner unzeitigen Rede verteidigt hast.“
„Schon gut. Hast du zufällig mitbekommen, wie sie es anstellen wollen, das gesamt Parlament auf ihre Seite zu ziehen? Immerhin hatten wir Reformen angeregt, nicht weitere Sanktionen.“
„Nein, leider nicht. Tut mir leid, dass ich da nicht weiterhelfen kann.“ Er legte die Hand auf den Türgriff, als die Kutsche hielt. „Was denkst du? Soll ich um sechs fertig sein, oder ist das zu früh?“
Lucas, schon wieder in Gedanken versunken, fuhr auf. „Oh, entschuldige. Aber ja, viel zu früh. Der Duke wird kaum vor acht dinieren.“
„Gut, sagen wir sieben. Vielleicht kann die hinreißende Lady Nicole dich ja von dem ablenken, was du gerade von mir erfahren hast.“
„Fletcher, diese junge Dame könnte mich von allem ablenken.“
Auflachend stieg Fletcher aus dem Wagen, und sofort wurde Lucas wieder ernst, denn ihm ging diese seltsame Begegnung mit Lady Nicole nicht aus dem Sinn.
Sie hatte ihn bei dem kleinen Zusammenstoß aus dem Gleichgewicht gebracht, aber nicht nur körperlich, sondern auch im übertragenen Sinne; sie hatte ihm den Kopf verdreht, wie es ihm noch nie zuvor widerfahren war.
Sie war erstaunlich schön, und sie war erstaunlich geradeheraus und – impertinent. Sie besaß den begehrenswertesten Mund, den er je gesehen hatte, und sicher wusste sie das auch, denn warum sonst hätte sie diesen … diesen Trick angewandt, ihre kleinen Zähne wiederholt in ihre aufreizend volle Unterlippe zu graben, wenn nicht, um so einen Mann um seinen Verstand zu bringen?
Außerdem lenkte sie ihn von Wichtigerem ab. Heute Vormittag hatte Lord Frayne bei seinem Besuch nämlich ein Ansinnen an ihn gestellt und im Gegenzug eine Information angeboten, der Lucas kaum widerstehen konnte. Nun fragte er sich, ob er eine solche Ablenkung, wie Lady Nicole sie bedeutete, gerade jetzt brauchen konnte.
Nein, ganz bestimmt nicht.
2. KAPITEL
N icole kämmte gemächlich ihr dichtes rabenschwarzes Haar aus und löste behutsam die wirren Strähnen, die durch das Aufstecken entstanden waren. Natürlich hätte sie sich ihrer hochgeschätzten Zofe Renée überlassen können, die sich jedoch beim Frisieren nie in Acht nahm, da sie der Ansicht frönte: Wer schön sein will, muss leiden. Also hatte Nicole ihr lieber die Aufgabe zugeteilt, das neue pfirsichfarbene Ausgehkleid zu bügeln.
Im Spiegel des Frisiertischs musterte sie ihre Schwester, die in einem gemütlichen Lehnstuhl hockte, die Nase in einem Buch vergraben. Was
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